Wassertreter im Gralsgebiet
Amfortas, der Gralskönig, durchlebt ein furchtbares Schicksal. Sobald er den Kelch enthüllt, mit dem einst das Blut Jesu aufgefangen wurde, strömen neue Kräfte nicht nur den Gralsrittern zu, sondern auch ihm selbst. Da Amfortas aber an einer schweren Wunde leidet, wird seine Qual dadurch endlos verlängert. Die ersehnte Erlösung durch den Tod ist ihm verwehrt.
Im neuen Essener Parsifal verbinden die nach Kraft lechzenden Gralsritter rote Schläuche mit dem geschundenen Leib ihres Königs, aus dem sein Blut abgezapft wird. Amfortas ist gleichsam in der Nachfolge des Erlösers zu erblicken, was Regisseur Roland Schwab besonders drastisch zeigt, indem er den König in Kruzifix-Haltung über die Köpfe der Ritter ziehen lässt. Die können nunmehr frohgemut ihre Rollatoren stehenlassen, während Amfortas das Haupt neigt.
Das Problem dieses Bildes ist offenkundig: Amfortas müsste nach dieser Prozedur eigentlich gestorben sein, die Optik der Inszenierung legt es nahe. Schon zuvor in diesem ersten Aufzug von Wagners letztem Bühnenwerk hatte die Regie den nach Linderung im Bad suchenden Amfortas in Kreuzeshaltung auf den Gazevorhang projiziert. Und damit bildlich verdoppelt, was man aus dem Libretto ohnehin weiß.
Es ist nicht die einzige Stelle an diesem Abend, an der sich der offenkundige Wunsch nach effektvollen Bildern in den Vordergrund drängt. So gibt es im großartigen, nach hinten gekrümmten Tunnel, mit dem Bühnenbildner Piero Vinciguerra an prägende Inszenierungen Götz Friedrichs anknüpft, Lichtröhren, die bei den aufgeregten Auftritten der Gralsbotin Kundry prompt losflackern. Weitaus sinnvoller ist die Idee, für Klingsors Zaubergarten im zweiten Aufzug eine Installation Nam Yune Paiks („TV-Garden“) zu zitieren, wie der Regisseur im Programmheft verrät. Dass auf den Bildschirmen Schlüsselelemente der Handlung wie die Augen der Blumenmädchen oder das Rosensymbol der nun als Verführerin benutzten Kundry gezeigt werden, ist eine gute optische Ergänzung. Das Wasser hingegen, in dem zwei Aufzüge lang die Sänger herumwaten, erscheint eher den hübschen Effekten geschuldet als einer Symbolik, die zwar passt - die aber auch bei Holländer, Tristan oder Ring schön zu begründen wäre. Die Beckett-Assoziation des post-apokalyptischen dritten Aufzugs schließlich mag man wiederum als Huldigung an eine legendäre Bayreuth-Inszenierung lesen. Der Pappverschlag mit „Wahnfried“-Aufschrift allerdings darf gern entrümpelt werden.
Auch aus dem Orchestergraben kommt einem dieser Parsifal mit großem Effekt entgegen. Essens Generalmusikdirektor Andrea Sanguineti versucht erst gar nicht, die Bayreuther Zauberklänge des verdeckten Grabens nachzuahmen, sondern schöpft die satten Farben aus, die Essens Philharmoniker bereitwillig bieten. Das ergibt etwa bei den Verwandlungsmusiken große Pracht, und besonders die Chöre der Gralsritter ergänzen das vortrefflich. Dem Raffinement der Blumenmädchen hingegen scheint der Dirigent nicht so viel abgewinnen zu können, und auch der Karfreitagszauber, zu dessen optischer Beglaubigung abermals der Gazevorhang mit schönen Waldbildern herabschwebt, gerät recht bodenständig.
Was natürlich auch ein bisschen mit den Sängern zu tun hat. Robert Watson in der Tenor-Titelpartie und Sebastian Pilgrim als Gurnemanz gestalten ihre Partien fabelhaft verlässlich und schonen sich nicht, so dass sie im dritten Aufzug dankbar für sängerfreundlich zügige Tempi sein dürften. Auch Bettina Ranch als Kundry gestaltet die dramatischen Kontraste ihres großen Auftritts im zweiten Aufzug so intensiv wie souverän, schauspielerisch hat sie ohnehin die größten Herausforderungen zu bewältigen. Was bei Heiko Trinsinger auf andere Art ins Gewicht fällt: Um den Schmerzensmann Amfortas zu gestalten, hat er auch die szenischen Anforderungen der brutalen „Enthüllung“ zu erdulden. Er löst diese Aufgabe mit größter Glaubwürdigkeit und präsentiert dabei in der Premiere die denkbar stimmigste musikalische Gestaltung.
Der große Applaus fürs Ensemble schloss den Jubel für die Essener Philharmoniker und Dirigent Andrea Sanguineti ein. Und auch das Regieteam konnte sich über mangelnden Zuspruch nicht beklagen. Die effektvollen Bilder haben offenkundig überzeugt.