Dreidimensional
Und plötzlich reißt die Leinwand. Was eben noch ein spannender Stummfilm war, wird plötzlich lebendig, dreidimensional und mit den Händen greifbar. Und die Handlung rückt ganz nahe an uns heran. So wird aus einem Eifersuchtsdrama im Artistenmilieu eine Handlung, die sich mit Gewalt gegen Frauen befasst. Deren Gegenwart ist überall latent vorhanden. Hier aber bricht sie sich Bahn - grausam und mit Folgen. Sexualisierte Gewalt wird nur angedeutet, ist aber stets präsent.
Ganz schön schwere Kost hat sich das Projekt TheaterJugendOrchester 2025 mit Das Loch in der Leinwand vorgenommen. Zu schwere? Darüber kann gut und lange diskutiert werden. Fest steht aber, dass sexualisierte Gewalt längst Teil auch des Alltags Jugendlicher ist. Nadine Schwitter, künstlerische Leiterin des Projekts, löst die Distanz auf, die die Kinoleinwand schafft. Und aus einem Stummfilm wird ein ganz lebensnahes Stück mit Musik, Tanz, Gesang - das alles in Farbe. Um die Wirkung noch zu verstärken, werden die Rollen jeweils von drei Akteur:innen gespielt. Sie alle tauchen ein in die Welt des Varietés - jenes Stummfilms von Leo Birinski und Ewald André Dupont, der vor 100 Jahren, also in den „Goldenen Zwanziger Jahren“ im Berliner Ufa-Palast am Zoo herauskam. Im Zentrum: der berufsunfähig gewordene Trapezkünstler Huller, der seiner Karriere nachtrauert und Frau und Kind verlässt, als er der Tänzerin Berta Marie begegnet und sie in ihm neue Perspektiven und Träume entfacht.
Klar wird, dass es Probleme gibt, die auch nach einhundert Jahren noch immer virulent sind. Diese Erkenntnis wird allerdings bisweilen sehr plakativ ausgeführt: Die pädagogische Verwertbarkeit scheint dann und wann die Oberhand im künstlerischen Projekt zu gewinnen.
Das liegt sicher nicht am Ensemble, das sich richtig hineinkniet ins Geschehen, mit großer Überzeugungskraft agiert und die hübschen Choreografien Lena Vissers in Bilder umsetzt. Auch darstellerisch und gesanglich haben alle viel gewagt und ganz viel gewonnen. Gemein wäre es, Menschen hier herauszuheben. Denn gerade im Kollektiv wird die größte Wirkung erzielt. Danke also an Ruki Bakir, Iemke Bigalski, Fulya Chasan-Oglou, Helene David, Marina Dömer, Johanna Harjes, Luis Hartwig, Pauline Holtmann, Judith Höping, Sina Knecht, Greta Kreft, Katja Legner, Nadine Mbah, Greta Milz, Paulina Ossege, Catharina Felicitas Paul, Holly Pickup, Lea Schönauer, Valentina Steinhoff, Hannah Sophie Tiesmeyer, Clara Trampert. Ihr habt eine nicht zu unterschätzende Aufgabe wunderbar gemeistert und einen wirkungsvollen Theaterabend gestaltet.
Auch der Namensgeber des Projekts - das TheaterJugendOrchester - spielte unter Michael Zlanabitnig beherzt auf und kreierte eine Roaring-Twenties-Atmosphäre.
In seiner langen Geschichte hat das TheaterJugendOrchester-Projekt viele Wandlungen erlebt. In diesem Jahr wird eine neue Facette hinzugefügt. Weiter so, denn nur, wer sich verändert, bleibt nicht stehen.