Zwischen Kitsch und Verweigerung
Zwei Frauen am Esstisch. Die Besucherin erzählt aufregende Neuigkeiten von Altvater Wotan und seiner Göttersippe, raunt von Resignation und dem bevorstehenden Ende seines Reichs. Doch die Gastgeberin scheint sich kaum dafür zu interessieren, würzt stattdessen leckere Häppchen und gibt sich entspannt nach dem Motto: Soll mir recht sein. Kein Wunder, dass zwischen Waltraute und Brünnhilde Streit ausbricht.
Die Waltraute-Erzählung im ersten Aufzug der Götterdämmerung gehört zu jenen bisweilen gefürchteten Szenen in Richard Wagners Ring, die den Fortgang der Handlung hemmen, weil noch Wichtiges zu berichten ist. Wenn aber ein Regie-Altmeister wie Franz Konwitschny sie mit witzigen Details in den Alltag eines streitenden Schwesternpaares holt, entsteht unerwartete Spannung. Ein bemerkenswerter Moment im letzten Abend des nun kompletten Konwitschny-„Rings“ an der Dortmunder Oper.
Leider hat der Abend neben solchen Glanzlichtern auch deutliche Schwächen, von denen eifrige Wagner-Enthusiasten zuvor schon wussten. Denn im Gegensatz zu Rheingold, Walküre und Siegfried ist die Götterdämmerung eine Übernahme aus Stuttgart, wo sie vor einem Vierteljahrhundert Premiere hatte. Und Konwitschny hat sich augenscheinlich nicht darum bemüht, die gealterte Produktion den neueren Arbeiten anzupassen, was erneut als „Befreiung der vier Einzelstücke vom Zwang des roten Fadens“ deklariert wird. Damit wären eigentlich auch solche optischen Klammern wie die sechs Harfen seitlich der Bühne oder der herabfallende Zweig der Weltesche in den früheren Opern überflüssig.
Zu Beginn der Götterdämmerung tummeln sich stattdessen drei „Gastarbeiterinnen“ mit Schlecker-Plastiktüte an der Rampe und ribbeln ein Kleidungsstück als Schicksalsfaden auf: Bilder, die vor 25 Jahren vermutlich noch originell wirkten. Fortan schwankt der Abend zwischen Aktualisierung, Parodie und Ratlosigkeit hin und her: Hagens Mannen sehen wie etwas abgehalfterte Brauerei-Aktionäre aus, Brünnhildes Fels und das Rheintöchter-Idyll bedienen sich lustvoll an Kitsch-Zitaten, und den Brand von Walhalls prangender Burg lässt der Regisseur als Regie-Text Wagners projizieren -- gewissermaßen die komplette Verweigerung des zuvor schon ironisierten Illusionstheaters, bei dem Bühnenarbeiter sichtbar die betont schäbigen Vorhang-Folien bedienen. Die Stringenz der anderen Abende fehlt dieser Produktion, was umso bedauerlicher ist, als einzelne Szenen überzeugen: Dass etwa Brünnhilde ihren zurückkehrenden Siegfried für den fremden Eindringling Gunther halten muss, ist durch dessen Verwandlung vom Klischee-Germanen zum wohlfrisierten Schnösel bestens erklärt.
Wie gut, dass die musikalische Seite manch szenisches Defizit vergessen macht. Dortmunds Philharmoniker können im Verlauf des langen Abends ihre Qualitäten erneut unter Beweis stellen. Dirigent Gabriel Feltz zeigt zwar auch Sinn für die leisen Momente, verzettelt sich aber nicht in Details und setzt mit voller orchestraler Kraft auf den vom schweren Blech durchglühten Sound des letzten „Ring“-Werks. Die Chöre lassen dazu im zweiten Aufzug nichts an Wohlklang mit Schmackes vermissen, was diese zentrale Stunde des Stücks zum umjubelten Selbstläufer macht. Und hier hat ja auch Samuel Youn seinen großen Auftritt: Als Hagen stattet er die Mannen-Rufe weniger mit breiter bassiger Fülle als mit den baritonalen Glanzspitzen seiner Stimme aus, die er zuvor im Zwiegespräch mit seinem Nosferatu-Papa Alberich (Morgan Moody) noch sanft gebändigt hat.
Joachim Goltz als Gunther ist eine Bank, neben ihm hat die souveräne Barbara Senator als Schwester Gutrune nicht ganz so viele Profilierungsmöglichkeiten. Was Daniel Frank in der „kleineren“ der beiden Siegfried-Rollen leistet, ist nicht zu unterschätzen: Sein eher heller Heldentenor bietet nicht Wucht, sondern kerniges Profil, und dass Frank noch die heiklen Erinnerungsszenen des dritten Aufzugs ohne merkliche Abnützungswirkungen gestalten kann, zeigt, wie klug er singt. Und immerhin muss er zu Beginn neben einer mächtigen Brünnhilden-Stimme bestehen: Stéphanie Müthers gleißender Sopran und die Ausgeglichenheit ihrer vokalen Gestaltung gehören zu den großen Stärken dieser Produktion. Um so bemerkenswerter, dass sich Anna Lapkovskaja als Waltraute mit ihr ein Schwesternduell auf Augenhöhe liefert. Es ist eben auch musikalisch eine der besten Szenen des Abends.