Übrigens …

Die Dreigroschenoper im Gelsenkirchen, Musiktheater im Revier

Sechs mal sechs gleich Bertolt Brecht

Verstärkt erobern Puppen seit einigen Jahren die Opernbühne. Das Musiktheater in Gelsenkirchen (MiR) hat 2019 sogar eine eigene Sparte für diese Kunstform gegründet, als kreative Bereicherung des Betriebs. Neue Formen sollen ausprobiert werden. Zuweilen bleibt der Mehrgewinn auf der Bühne zweifelhaft. Ein gelungenes Gegenbeispiel liefert Regisseur Markus Bothe mit seiner Neuproduktion von Bertolt Brechts Dreigroschenoper, die er jetzt gemeinsam mit dem MiR-Puppentheater realisiert hat.

Statt den Sängerinnen und Sängern die Show zu stehlen, verdoppeln sechs Puppen (von Peter Lutz) die Hauptfiguren des Stücks. Die plappern den Menschen, die sie führen, so frech dazwischen, dass verschwimmt, wer hier eigentlich wen steuert. Zudem tragen alle sechs einen Kopf mit den charakteristischen Zügen von Bert Brecht.

Damit greift die Regie das Element der Parodie auf, das schon die Vorlage von John Gay prägte, und vermeidet ein Zeigefinger-Polittheater. Ein Hauch von Kasperle-Anarchie durchweht die Szene: Die Puppen können durch die Luft fliegen und einander ordentlich was auf die Mütze geben. Es sind Klischeefiguren, die diejenigen zu beeinflussen versuchen, die sie zum Leben erwecken.

Die kritisch bissigen Texte, für die Brechts Freundin Elisabeth Hauptmann zu 80 Prozent verantwortlich gewesen sein soll, verlieren durch Abstecher in die Komik zwar etwas von ihrer Schärfe. Aber der Verfremdungseffekt, mithin der Darstellungsstil einer kritischen Distanzierung, der das Publikum bewusst nicht zur Identifikation verleiten soll, erscheint durchaus im Brecht‘schen Sinn.

Das Spiel um alles durchdringende Geschäftsbeziehungen, um die Verflechtungen von Wirtschaft und Verbrechen findet auf einer Bühne mit Schachbrettmuster statt (Robert Schweer). Die hat viele Bodenluken, aus denen das Personal der Unterwelt nach oben steigen kann. Ein wenig Kunstnebel umwabert die Spielfläche, die Figuren leuchten sich wechselseitig mit tragbaren Scheinwerfern an.

Die Besetzung will zeigen, dass Machtmechanismen unabhängig vom Geschlecht funktionieren. Gloria Iberl-Thieme, Leiterin der Sparte Puppentheater, gibt den Gangsterboss Macheath, genannt Mackie Messer. Gehüllt in einen dunklen Ledermantel, wie Brecht ihn häufig trug, trägt sie die berühmte Ballade vom Haifisch zunächst bewusst zögernd vor, nähert sich der Rolle mit stockender Skepsis. Sie versucht sich als Chef im Ring zu behaupten, bekommt aber von zwei Partnern starke Konkurrenz.

Da ist zum einen der Schauspieler Klaus Brömmelmeier, der als Bettlerkönig Peachum mit einer Mischung aus Durchtriebenheit und Zynismus auftrumpft, gegen die kein Kraut gewachsen ist. Zum anderen entwickelt der Tenor Martin Homrich als dessen Gattin Celia eine hinreißende Bühnenpräsenz. Auf hohen Hacken und mit Perlenketten behängt, wird er zum wuchtigen Weibsstück, dem aggressive Schärfe nicht fremd ist.

Der Sprechgesang Brecht/Weill’scher Art erlebt an diesem spartenübergreifenden Abend sehr unterschiedliche Ausführungen. Bele Kumberger kann als Spelunken-Jenny ihren opernerprobten Sopran vehement ausfahren, während die Schauspielerin Fayola Schönrock, die Polly Peachum überzeugend als störrisch-verliebten Backfisch gibt, für den Barbara-Song eine weit dünnere Stimme einsetzt. Den korrupten Polizeichef Tiger Brown lässt Sebastian Schiller trefflich zwischen Machtgier und Feigheit schwanken.

Die geniale Musik von Kurt Weill ist einfach nicht totzukriegen: Auf Kanonen-Song, Zuhälter-Ballade und Eifersuchts-Duett ist immer Verlass. Erstaunlich, dass sich in der Premiere lange keine Hand rührt. Am Orchester, im Hintergrund halbhoch über der Szene postiert, liegt das nicht. Die kleine Band der Neuen Philharmonie Westfalen bewegt sich unter der Leitung von Lutz Rademacher trittsicher zwischen Barock-Parodie und Drehorgelklängen, Tango- und Foxtrott-Rhythmen, Jazz und süßlichem Operetten-Melos.

Der von Alexander Eberle einstudierte Chor erhebt die Akt-Schlüsse zum Vergnügen. Als Volksmenge drängt er zur Hinrichtung von Mackie Messer und hebt dabei Papptafeln in die Höhe. „Hands off Mackie“, steht darauf in tagesaktueller Anspielung, und „Make Schalke great again“. Das findet in Gelsenkirchen Gehör. Der Schlussapplaus fällt einhellig begeistert aus.