Übrigens …

La Traviata im Theater Hagen

Alle Blicke auf die Kurtisane

Sind wir alle Voyeure? Wir, das Publikum, sehen uns wie gespiegelt auf der Bühne, auch das Bühnenbild mit dem Leuchtrahmen und den lustig bunten Palmen wirkt, als wäre es durch einen imaginären Spiegel verdoppelt. Und mittendrin sie, die im Zentrum des Interesses steht: Violetta, die Kurtisane, die vom Weg Abgekommene, La Traviata.

Im Theater Hagen hatte Giuseppe Verdis womöglich faszinierendste Oper an diesem Samstag Premiere. Es war zugleich Premiere für Hagens neuen Intendanten Søren Schuhmacher, der das Stück erstmals inszenierte. In bunter, durchaus gefälliger Optik, aber mit einigen ungewohnten Zutaten.

Besonders auffallend: die beiden zusätzlichen Frauenfiguren. So taucht im ersten Akt, wenn die von der Gesellschaft umschwärmte Titelheldin aus dem Rahmen heraustritt und sich an ihre Jugend erinnert, eine Mädchen-Version ihrer selbst auf. Hier passt es gut. Wenn sich allerdings diese Erscheinungen im zweiten und dritten Akt wiederholen, wirken sie entbehrlich, zumal die Darstellerin aus einem hell leuchtenden Parkett-Eingang Richtung Bühne gehen muss. Im zweiten Akt wird Violetta von Giorgio Germont, dem Vater ihres Geliebten Alfredo, ermahnt, auf dessen Schwester Rücksicht zu nehmen. Der Regisseur setzt die Schwester ins Bild, lässt sie neben Violetta im bunten Garten schaukeln - Norbert Bellen schuf die üppigen Bilder. Dadurch entsteht zwar eine größere Figurenvielfalt, aber kein Erkenntnisgewinn.

Giuseppe Infantino gibt mit kernigem Tenor einen stürmischen Künstlertypen Alfredo, der sich im grünlichen Anzug von der befrackten Gesellschaft unterscheidet. Er darf ebenso wie seine Sopranpartnerin Serenad Uyar effektvolle Spitzentöne servieren, die vom Komponisten nicht alle vorgesehen waren. Die Darstellerin der Hauptpartie wird am Ende für ihren Gesang sowie für ihr Spiel umjubelt, bekommt ja auch von der Regie besondere Auftrittsmöglichkeiten auf einem Steg über dem Orchestergraben, wenn sie die Ebenen wechselt und zum Objekt aller Zuschauer wird, immer wieder erscheint sie durch Lichteffekte aus dem Geschehen herausgehoben. Uyar beherrscht die heikle Partie souverän, muss sich aber erst freisingen. Nach dem eingelegten hohen Es wirkt sie deutlich entspannter.

Dritter im Bunde ist Insu Hwang als Vater Germont, der von Verdi als Zerstörer der Beziehung, aber auch als väterlicher Freund der sterbenden Violetta gestaltet ist. Hwang fasziniert mit balsamischen Bariton-Klängen, die das Positive des Charakters betonen - ein feineres Legato wäre fast zu schön.

Eine Premiere war diese Traviata auch für Hagens neuen Generalmusikdirektor Sebastian Lang-Lessing - jedenfalls an diesem Haus. Sofort ließen die hohen Streicher des Philharmonischen Orchesters aufhorchen, die wunderbar filigran musizierten. Brutal-schöne Blechbläser-Akkorde setzten tragische Akzente im zweiten und dritten Akt, die rhythmisch gespannte Interpretation geriet nur an Grenzen, wenn die Chöre nicht perfekt mitkamen.