Othello im Köln, Theater Der Keller

Weißer Mohr, aber nicht farblos

„Nach Shakespeare“ – Hinweis oder Warnung? Für Othello hat das Keller-Theater jene Fassung gewählt, die 2003 an den Münchner Kammerspielen ihre Uraufführung in der Regie von Luk Perceval erlebte. Es gab zustimmende Kritiken, aber auch ablehnende wie die von Michael Skasa in der „Zeit“: „Alle Gründe und Abgründe der Menschenseele, wie Shakespeare sie helldunkel beleuchtete, trudeln in dieser Nacherzählung durch das Drehbuchstory-Büro ins seicht anal-Banale.“ Das Wort „Nacherzählung“ kann man als zutreffend empfinden, denn die drastische, von Fäkalworten überbordende Textfassung von Zaimoglu/Senkel ist nichts für zarte Gemüter. Wie weit Regisseur Stefan Nagel für seine Inszenierung gemildert hat, wird in Prozenten nicht angegeben. Immerhin lässt sich trotz verbleibendem inneren Widerstand sagen, dass Vulgäres die Fallhöhe des dramatischen Geschehens nicht aufhebt, dass die Figuren als leidende Wesen erkennbar bleiben, an Intensität mitunter sogar hinzugewinnen.
Es ist auch daran zu erinnern, dass sich die Handlung von Othello unter Soldaten abspielt, deren Aufgabe der Krieg, das Zerstören, das Töten ist. Da geht es nun einmal ungehobelt, drastisch zu. Über Frauen wird wie von Wegwerfware gesprochen, der männliche Sextrieb als selbstverständliches, über einengenden Moralvorstellungen stehendes Macho-Bedürfnis definiert. Sogar Othello gesteht, sich in jungen Jahren ausgetobt zu haben, bis er dann – älter und reifer geworden – in Desdemona einer Lichtgestalt begegnete, deren unabdingbare Liebe und Herzenswärme ihn verwandelte. Dabei wird diese junge Frau keineswegs als engelgleiches Heimchen gezeichnet. Vielmehr zeigt sie sich (was im „Keller“ die moderne Kostümierung unterstreicht) als ein durchaus flottes Mädchen, welches eigene Rechte einzufordern sich nicht scheut und der beim heftigen Ehestreit die Hand ausrutscht. Sarah Härtling umreißt diesen Charakter direkt, unzimperlich.
Aufgewertet ist auch Emilia, in der Regel nur eine Stichwortgeberin. Die starke Bindung an ihren brutalen Gatten bleibt freilich ein psychologisches Rätsel, das vermag auch die emanzipiert spielende Viktoria Klimmeck nicht ganz aus dem Weg zu räumen. Jago wird durch Makke Schneiders schneidende Rhetorik zu einem frieren machenden Politstrategen. Hass, Niedertracht und Zerstörungslust, mit der Zurücksetzung durch Othello alleine nicht zu erklären, machen bei diesem Mann die Lebensluft aus, seine Gefühle sind gletscherkalt. Die emotionale Zerrissenheit eines Othello könnte ihn nie beschweren. Die Darstellerriege wird brillant ergänzt durch Emanuel Fleischhacker, sowohl Rodrigo als auch Cassio. Die Streitszene der beiden bewältigt er virtuos wie bei einem rasanten Filmschnitt.
Nach relativ langer Zeit sieht man Josef Tratnik wieder. Als Othello ist er, selbst wenn er nicht agiert, auf einem seitlichen Stuhl vor der Bühne ständig präsent, mit Leib, Seele und Ohr immer ganz nahe am perfiden Spiel, welches er dennoch erst ganz zum Schluss durchschaut. Tratnik gibt sich zärtlich und cholerisch, wirkt sympathisch und unsympathisch, wechselt in Sekundenschnelle die Stimmungslagen. Es bedarf nicht schwarzer Haut, dass dieser Othello als Außenseiter wirkt. Man spürt geradezu schmerzlich, dass seine neurotische Raserei seelischer Not entspringt. Diese Wirkung dankt sich auch dem Regisseur Stefan Nagel, der auf der von luftballonartigen Herzen gefüllten Bühne Thomas Unthans seine Darsteller mit großer Selbstverständlichkeit und Präzision zu führen weiß und immer wieder vulkanische Spannung erzeugt. Ohne überreagieren zu wollen: seit den Eric-Emmanuel-Schmitt-Aufführungen in der Ägide Meinhard Zangers (seit 2006 Intendant des Wolfgang-Borchert-Theaters Münster) hat es eine derart dringliche Aufführung nicht gegeben. Hoffentlich wirkt das in der gegenwärtigen Katastrophenstimmung (wegen mangelnder finanzieller Unterstützung droht der Theatertod) als Fanal.