Schöne Tage im Oberhausen, Theater

Europa im Jahr 2030 – auch nicht viel Neues

Kornél Mundruczó, Theater- und Filmregisseur aus Ungarn, gewann 2001 in Oberhausen beim internationalen Kurzfilmfestival den Arte-Preis für seinen Film Afta (Tag für Tag). 2002 drehte er seinen ersten abendfüllenden Spielfilm Szep napok (Schöne Tage), für den er zusammen mit Viktória Petrányi eine Bühnenfassung schrieb. Diese kam unter Mundruczos Regie am Theater Oberhausen zur Uraufführung.
Der Regisseur wurde durch trashige Inszenierungen bekannt, die durch Gewalt, Sex und körperliche Brutalität geprägt waren. All das wird geboten – und noch mehr. Es wird ein ungewöhnlicher Abend, an dem Geschichten erzählt, Musicalnummern mit Videoeinspielungen kombiniert und bekannte Songs (u.a. von Pink Floyd oder Smokey Robinson) geboten werden, zum Teil von den Schauspielern selbst musikalisch begleitet. Insgesamt ein desillusionierendes, berührendes, nervtötendes Erlebnis für die Zuschauer.
Die zentrale Story, die in einem Aspekt sehr an Hauptmanns Ratten erinnert, handelt von Peter, einem jungen griechischen Einwanderer, der gerade aus dem Gefängnis entlassen wurde. Ort der Handlung: Deutschland im Jahre 2030 nach dem Zerfall der Europäischen Union. Die Grenzen sind geschlossen. Peter kehrt zu seiner Schwester Maria zurück und beobachtet, wie sie einer jungen deutschen Frau, Maja, die in Schwierigkeiten steckt, ihr Neugeborenes abkauft. In der Hoffnung, so eine größere Chance auf eine legale Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen. Peter verliebt sich in Maja, die die Geliebte eines älteren Mannes ist. Als Maja ihr Kind zurückfordert und Maria die bedingungslose Unterstützung ihres Bruders erwartet, gerät Peter in einen unauflöslichen Konflikt zwischen den beiden Frauen. Ein weiteres Thema in dieser „proletarischen Operette für das 21.Jahrhundert“ (so der Untertitel) ist Peters Angst vor einer Invasion Außerirdischer von einem anderen Stern. Den einzigen Zufluchtsort sieht er in der Akropolis – dort, wo die Götter wohnen.
Die Bühne sieht aus wie ein städtischer Bolzplatz, umgeben von einem hohen Gitterzaun. Der Innenraum ist angefüllt mit allerlei Schrott, u.a. einem alten Auto, diversen Waschmaschinen, einem Klavier, dem Ständer einer chemischen Reinigung mit den Kleidern in Plastikhüllen, verschiedenen Lampen und einem Sofa. Zu Beginn läuft ein junger Mann, Peter (Sergej Lubic) im Dunkeln im Kreis herum, ein Scheinwerfer folgt ihm. Man hört Stimmen flüstern: „Freiheit“, „Angst“, „Weg da“. Ein eindrucksvolles Bild. Dann setzt mit dem chorisch vorgetragenen „Is there anybody out there?“ (Pink Floyd) die Handlung mit der Geburt des Kindes ein. Videoaufnahmen à la Castorf werden auf eine Leinwand an der Vorderseite des Käfigs projiziert. Nach und nach nehmen die zunächst mehr beobachtenden herumlungernden Akteure am Spiel teil. In Episoden lernen wir das Beziehungsgeflecht kennen, das nur zu oft von Aggression und Härte gekennzeichnet ist. Da ist Maja (Nora Buzalka), die sich von ihrem Liebhaber Thomas (Michael Witte) quälen und beschimpfen lässt. Peter und sein Kumpel Nesut (Jürgen Sarkiss) zeigen typisch männliches Imponiergehabe in einer Badeanstaltszene – angesichts der beiden Freundinnen Maja und Claudi (Angela Falkenhan), die sich auch gebührend in Szene zu setzen wissen und wie Schimpansen kreischend am Zaun hängen.
Viel nackte Haut, psychische und psychische Gewalt bis zur Schmerzgrenze und manch Bühnentechnikzauber wie wabernde Nebel lassen das Publikum fast abgestumpft reagieren. Gewiss, die Schauspieler werfen sich engagiert in ihre Rollen. Hier wären noch zu nennen: Maria (Anja Schweitzer), Josef (Torsten Bauer) und Fritz (Klaus Zwick). Dennoch empfindet man fast Dankbarkeit, wenn sich der ältere Migrant Jafah (Mohamamd-Ali Behboudi) in einer der wenigen ruhigen Phasen des Abends voll Wehmut an seine persische Heimat erinnert.
Zum Schluss stehen die Außerirdischen mit in der Dunkelheit weiß schimmernden Theatermasken am Zaun und starren die Zuschauer an. Es lässt einen seltsam unberührt, sind diese Wesen doch wie die Raubtiere im Zoo durch ein Gitter von uns getrennt.