Politsatire im Mythensumpf
In einer nicht zu fernen Zukunft wird es – nach der Zeit der Islamkonferenzen und Integrationsgipfel – ein neues Ministerium geben, das „Ministerium für Migration“. Und weil die zu beackernden Probleme ausnehmend komplex sind, werden die vier Spitzenkräfte der neuen Behörde irgendwo fern von den Menschen stationiert, um besser arbeiten zu können. Da formulieren sie jetzt Verwaltungs- und Verhaltensnormen, ein einsames, aber nicht unangenehmes Beamtenleben, das Freiraum lässt für persönliche Vorlieben. Nun aber gibt es einen neuen Minister und der verlangt das Unmögliche: eine endgültige „Lösung“ aller Integrations- und Assimilationsprobleme binnen einer Woche. Der Stress beginnt.
Soweit Ausgangslage und Gegenstand von Kai Schuberts neuem Stück. Vier mobile Waben, Kombinationen aus Weltraumkapsel, Kleinraumbüro und Einzelzelle hat Birgit Stoessel auf die Bühne des kleinen Wuppertaler Schauspielhauses gestellt. In und mit diesen werden auf fast beängstigend heutige Art unter – augenzwinkernd servierter - Götzenanbetung der Neuen Medien Strategien entwickelt („Wir brauchen ein Internetforum“), möglichst groß und theoretisch gedacht und nie von den Menschen ausgehend. Metiersicher und pointenstark zeichnet Jenke Nordalm diese Entscheidungsprozesse nach. Immer gilt: Selbstverwirklichung vor Verantwortung und virtuelle Utopie vor ersehnter, aber scheinbar unmöglicher „wirklicher“ Kommunikation.
Die in blaue Overalls gekleidete, wie eine Mischung aus Handwerker und Astronaut aussehenden Schauspieler tun das ihre, um den Abend zum Erfolg zu führen. Sie etablieren schlüssig ein starkes Beziehungsgeflecht, das in Kai Schuberts Text nur lose angelegt ist. Juliane Wolff ist ganz halbgebildete Society-Dame, Juliane Pempelfort sensible Intellektuelle, Anne-Catherine Studer handfester Gefühlsmensch mit schwerer Kindheit. Zwischen ihnen turnt Thomas Braus, als Computer-Kid im Mann von heute, locker von Rose zu Rose. Am Ende verlieren sich alle vier im von ihm designten Problemlösungscomputerspiel, das auch den Migranten die Ellenbogen und Schliche des Kapitalismus beibringen soll. Das Ministerium ist ein starkes, witziges, fantasievolles und sehr genau beobachtetes Zeitstück.
Leider will es noch ein wenig mehr sein. Das Stück ist unterteilt in sieben Tage, die Frauen tragen Namen altgriechischer Schicksalsbegriffe, zu Beginn wabert blauer Nebel und es ertönen die ersten Takte von Wagners Rheingold. Schubert und seine Uraufführungsregisseurin docken ihren Text ohne Notwendigkeit an allen möglichen Mythen an, so dass mancher ironische Akzent plötzlich ungewollt bedeutungsschwer daherkommt – und dem Theaterabend ein wenig die Aktualität und das Tempo nimmt. Lohnen tut sich die Aufführung natürlich trotzdem!