Verwässerte Tragödie
Vor einigen Wochen beleuchtete das Deutsch-griechische Theater in der Kölner Studiobühne mit den Eumeniden des Aischylos eines der großen Mythen-Schicksale, das der Atriden nämlich. Die Phönizierinnen nach (!) Euripides sind hingegen (unter dem Titel Wir Kinder von Theben) Teil der Ödipus-Saga. Die narrativen Vernetzungen der griechischen Sagengeschichte heben die Abgrenzungen zwischen den individuellen Geschehnissen mitunter ein wenig auf. So waren die Phönzierinnen zu Beginn des Jahres in Zürich unschwer in das Antikenprojekt Ödipus und seine Kinder zu integrieren, eine Kompilation von Dramentexten aus der Feder von Sophokles, Euripides und Aischylos. Die Schlosserei-Aufführung beginnt in der Übersetzung Friedrich Schillers, und Julia Wieninger, welche als Jokaste den Prolog (= Inhaltsangabe des Vorgeschehens) spricht, vermag mit ihrer rhetorischen und mimischen Intensität so etwas wie den Schauder der Tragödie zu vermitteln.
Zuvor ist vom Ensemble die Bühne Susanne Münzners verwüstet worden. Die Darsteller agieren in mehr oder weniger verstaubter Kleidung auf den Trümmern, Katastrophenstimmung ist physisch greifbar. Das düstere Geschehen nimmt dann mit gebührendem Ernst seinen weiteren Verlauf. Eteokles und Polyneikes, Jokastes Söhne aus ihrer unwissend inzestuös vollzogenen Ehe mit Ödipus, ringen um Macht und politischen Einfluss. Die Mutter vermag ihr starres Feinddenken nicht zu dämpfen oder gar eine Versöhnung herbeizuführen. Auf Hass folgt Gewalt, auf Gewalt neuer Hass.
Dem gegenwärtigen Herrscher über das bedrohte Theben, Kreon, wird vom Seher Teiresias bedeutet, dass die Opferung seines Sohnes Menoikeus Rettung bringen würde. Der Vater verweigert das, doch geht der Sohn freiwillig in den Tod. Von hier an beginnt der Regisseur offenkundig, der Wirkung von reiner Tragödie zu misstrauen und setzt immer wieder auf krass humorige Accessoires. So muss Kreon, einen Holzsplitter im Fuß, bei der Auseinandersetzung einbeinig über die Bühne hüpfen. Das könnte man im Sinne von „Lachen im Halse stecken bleiben“ noch goutieren, aber mit flapsigen Satzeinschüben wie „Da haben wir den Salat“ oder Szenen wie die der beiden Brüder mit Rauschebärten wird Mythos-Ernst von der Bühne gejuxt. Auch ein zäsierender Monolog über die Erfahrungen von Werbepausen blödelt das Aufführungsniveau krass herunter. Da mag Antigone, am Schluss vor dem Chor der sich verblutenden Phönizerinnen stehend, noch so seelenvoll ins Auditorium starren. Ein unausgegorener Abend, bei dem man sich keineswegs sicher ist, ob ihn alle Mitwirkenden wirklich so gewollt haben. Konsens freilich beim Publikum. Die sprachliche Autorität von Yorck Dippe (Kreon) hebt sich übrigens positiv von manch akustisch Schemenhaften ab.