Spiele der Erwachsenen
Nicolas Sarkozy sagte in einem Gespräch mit Michel Onfray einmal: „…dass der Mensch gefährlich sein kann. Das ist (…) der Grund, warum wir die Kultur, die Zivilisation brauchen. Es gibt nicht gefährliche Individuen auf der einen und unschuldige auf der anderen Seite. Nein, jeder Mensch trägt Unschuld und Gefahr in sich“.
Und genau darum geht es in Yasmina Rezas erfolgreichem Stück Der Gott des Gemetzels, das gerade erst in Starbesetzung von Roman Polanski verfilmt wurde. Zwei Elfjährige haben sich gestritten und zwei verlorene Schneidezähne sind das unschöne Ergebnis. Die Eltern der beiden - modern, zivilisiert und eigentlich konsensorientiert - wollen die Angelegenheit bei Kaffee und Gebäck gütlich aus der Welt schaffen. Aber in dieser intelligent geschriebenen Komödie voller pointierter Dialoge, die messerscharf ins Schwarze treffen, stehen unversehens die Erwachsenen mit ihren Lebensanschauungen und Werten am Pranger. Und das ach so zivilisierte Versöhnungstreffen läuft aus dem Ruder.
Marcus Lobbes, Jahrgang 1966, bringt eine ungestrichene Fassung von Der Gott des Gemetzels auf die Bühne. Dabei hält er sich auf seine Weise an eine der Regieanweisungen von Reza: „Kein Realismus – keine überflüssigen Elemente“.
Statt des in den bisher zahlreichen Folgeinszenierungen gezeigten mehr oder weniger abstrakten Wohnzimmers des Ehepaars Houillé als Ort der Handlung wählt er bzw. sein Ausstatter Christoph Ernst ein römisches Forum als Ort des Diskurses. Die Akteure tragen römische Togen. Auf der linken Seite der Bühne sehen wir einen rosa Riesenplüschhasen auf einem Podest stehen, rechts einen himmelblauen Teddybär. Helle Neonröhren leuchten Bühne und Zuschauerraum aus. Die Herren tragen Rock, dünne, farbige Strümpfe und hochhackige Pumps, die Damen Stiefel mit Plateausohlen. Michel, der bodenständige Kaufmann, trägt ein T-Shirt, auf dem PAS DU REALISME steht, das Motto für diesen Abend. Schon von Beginn an fällt die sehr akzentuierte und künstliche Redeweise auf. Die Schauspieler überziehen ständig ihre Mimik und Gesten, für Zwischentöne bleibt kein Raum. Requisiten sind weitgehend gestrichen, eine Absage an jegliche Form des Naturalismus. Man deklamiert, schreit oder trapst wie Rumpelstilzchen die Treppen des Forums auf und ab. Gerade die Männer leisten dabei artistische Kunststücke. Die Schauspieler sind alle zu loben ob ihrer Anstrengungen, doch das Regiekonzept bleibt fragwürdig. In der Textvorlage ist es gerade amüsant für den Zuschauer, zu beobachten, wie nach und nach all die andressierte gute Erziehung verloren geht und jegliche Form von Konfliktmanagement verblasst. Da ist Alain (Ekkehard Freye), der smarte Anwalt und Vertreter eines Pharmakonzerns, der ständig per Handy Kontakt zu seinen Mitarbeitern aufnimmt, um einen Arzneimittelskandal zu vertuschen. In Dortmund spricht er diese Gesprächstexte, als ob sie zur Verhandlung mit den anderen Eltern gehörten. Verwirrend. Michel (Axel Holst) dreht sich gern um die eigene Achse und lässt den Faltenminirock schwingen – reiner Aktionismus. Dann wieder trommelt er sich wie ein Silberrückengorillamännchen auf die Brust. Véronique (Eva Verena Müller) deklamiert fast immer, so auch, was sie an literarischen Werken verfasst hat und welch hohe Moralvorstellungen sie hegt. Annette (Friederike Tiefenbacher) beschimpft, wie ein Orakel hinter einem Vorhang stehend, Michel als Mörder – hat er doch den Hamster seiner Tochter einfach auf der Straße ausgesetzt. Michel schaut dabei den Plüschhasen wie die Göttin der Gerechtigkeit an.
Diese verfremdete Darstellung eines Konflikts, den Reza mit Esprit und Finesse von anfänglich mehr zurückhaltenden verbalen Attacken langsam steigert, um ihn dann in Handgreiflichkeiten kulminieren zu lassen, führt zu keinerlei Aufbau von Spannung. Von Anfang an wird gepoltert, Nuancen fehlen total.
Ein Abend, an dem die Schauspieler Applaus ernteten, der Regisseur einzelne Buh-Rufe.