Ein Versuch der Analyse globaler Themen
Tina Völcker, 1979 in Berlin geboren, hat sich viel vorgenommen. In ihrem Stück Kein Science - Fiction, das in Düsseldorf zur Uraufführung kam, untersucht sie das Katastrophenpotenzial der Gegenwart. Auf der Grundlage des Kassandramythos sollen die heutige Finanzkrise und die Frage, wie sich Europa mit seinen moralischen Werten – Menschenwürde und Meinungsfreiheit, aber auch nachhaltiges Wachstum und Klimaschutz – an einer Zukunft der Menschheit beteiligen kann.
Die Autorin schreibt in einem „Brief ans Publikum“, der im Programmheft abgedruckt ist: „Ich erzähle die Geschichte einer Krise, wie Ihr sie in der Realität nicht vorfinden werdet“ und formuliert hellsichtig, welche Reaktion das Publikum zeigen wird: „Ihr seid dann aufgeschmissen genau wie ich, befangen vermutlich, und verstrickt in allerlei / gesellschaftliche Abhängigkeiten / aber mit dem kleinen, hartnäckigen Gedanken/ dass der Ort, an dem wir leben, wenn er bewohnbar sein soll / begehrt nach unserer leidenschaftlichen Absage“.
Das Publikum wird durch eine Art Tunnelgewölbe von hinten auf die Bühne geführt und trifft dabei dort auf einen jungen Mann, der von den Schwierigkeiten, einen Job zu finden, berichtet und von seinem Leben in einem „labilen Nomadentum“. Weil sich die Zuschauer in dieser Röhre stauen, ist es schwierig, alles mitzubekommen. Auf der Bühne steht man dann im Halbkreis und lauscht Kassandra, der Troerin, hier eine Seherin aus Afrika. Sie sagt eine Apokalypse voraus, in der sich die globalen Machtverhältnisse in der Welt radikal verändern werden: „Versteht es als Zeichen, wenn ihr nirgends mehr Liebe mehr findet, und eure Familien sich selbst zerstören, wenn die lang gehegte Wirtschaftsordnung zerfällt und euer Rechtsstaat wie Glas zerbricht. Der Himmel wird sein wie siedendes Öl, … und dann kommt unsere Apokalypse, die nicht eure Apokalypse ist, denn unsere Apokalypse ist euer Ende“. Xenia Noetzelmann als Kassandra hat zu Beginn ein schwarzes Zeichen auf der Wange und wandelt sich im Laufe des Abends zu einer gänzlich schwarzen Person. Im Stück ist sie, eine ehemals Fremde, nun in die Gesellschaft als wissenschaftliche Beraterin der Firma Atreus integriert, deren selbstbewusster Chef Agamemnon (Ingo Tomi im Business-Anzug mit Hemd und Krawatte) einen europäischen Synkretismus vorhersagt („Europa – eine Mischung von neuen und vertrauten Elementen“). Das Leben bezeichnet er als „entsetzlich kompliziert“, so dass man „dem eigenen Urteil naturgemäß nicht traut“. Gut, dass es Atreus als Mittler gibt, „der einem sagt, was gut ist und was man wünschen soll“. Das Publikum rutscht derweil auf schwarzen Sitzkissen auf der Bühne herum, weil es den agierenden Schauspielern immer wieder ausweichen muss. Eine weitere junge Frau, die Agamemnon Kafka nennt (Elena Schmidt), weil sie wie ein Schriftsteller aussähe, bewirbt sich bei ihm um einen Job, obwohl sie bekennt, keinerlei Wert auf eine Anstellung zu legen. Das Gespräch findet in den noch leeren Zuschauerreihen statt. Dort tritt auch Agamemnons Mutter als Industriellengattin (ebenfalls Elena Schmidt) auf, die uns wissen lässt, sie sei in ihrem früheren Leben Rosa Luxemburg gewesen. Und schließlich ist da noch der serbische Kriegsflüchtling Mihajlo (Aleksander Radenkovic), der im sicheren Europa Medizin studieren will. Er mutiert später zum Sicherheitsbeamten bei Atreus. Radenkovic spielt auch den Krieger, der einen rechtsradikalen „Kampfbund für Europa“ gründet. Er vertritt die Ansicht, der Zeitpunkt für eine konservative Revolution sei noch nie so günstig gewesen. Als Gegenspieler von Agamemnon kämpft er an der Spitze einer großen Gruppe gegen die Fremden im Konzern.
Nach einer guten Stunde ist es dem Publikum erlaubt, sich im Zuschauerraum niederzulassen. So kann man das Bühnenbild, das an einen verunglückten Zug erinnert, betrachten. Und versteht akustisch mehr von den komplizierten, aber auch verquasten Texten. Die Schauspieler mühen sich redlich und zeigen sich als ausgesprochen wandlungsfähig. Dennoch bleibt man verwirrt und ermattet zurück. Schade. Viele der angesprochenen und heute relevanten Themen sind es wert, auch auf der Bühne erörtert zu werden. Doch dieses Problem-Konglomerat wird auch durch Nora Schlockers Regie nicht transparenter – im Gegenteil.