wohnen. unter glas im Köln, Schauspiel

Nichts sagen, aber das mit Emphase

Drei Menschen. Jung, aber nicht mehr soo jung. Anfang dreißig etwa. Vor zehn Jahren haben sie mal zusammen gelebt, in WG-ähnlichen Zuständen. Hatten was miteinander, aber irgendwie nicht so richtig. Jetzt treffen sie sich nach vielen Jahren in einem Hotel am Rand der Berge wieder. Sind gespannt aufeinander, haben hohe, aber irgendwie nicht so richtig definierte Erwartungen. Max, Jeani und Babsi.

wohnen. unter glas, uraufgeführt vor vier Jahren in Graz, ist nicht Ewald Palmetshofers bestes Stück, aber wohl sein am häufigsten gespieltes. Palmetshofer hat bereits in diesem seinem dritten Stück zu seinem unverwechselbaren Stil gefunden: Zu einer Kunstsprache aus kurzen, unvollständigen, abgehackten Sätzen, in denen sich eine arme, anspruchslose Diktion mit großen, aber hohlen Schlagworten verbindet. Eine Sprache, die, so künstlich sie sein mag, doch fatal an Menschen erinnert, die wir kennen: junge Menschen, nicht ganz unintelligent, aber wenig reflektiert. Menschen, die noch glauben an das große Potential, das in ihnen schlummert und die innerlich schon wissen, dass sie im biederen Durchschnitt stecken bleiben werden. „Dein großer Moment, der kommt noch“, hoffen sie. „Wenn du hoch oben bist im Zenit. Aber vielleicht hast du den ja schon. … Und hast einfach nichts gemerkt. … Hast deinen Zenit überschritten und hast einfach nichts gemerkt, weil du einfach zu den Menschen mit flachem Zenit gehörst. Es gibt Menschen, die haben einfach einen scheiß flachen Zenit.“

So wie Max, Jeani und Babsi. Früher, da waren sie auch mal irgendwie links. Sie bildeten eine Clique. „Aber das verliert sich mit der Zeit. Auch das mit dem links und so.“ Verloren hat sich alles, gewachsen ist da nichts, denn Tiefgang war nirgends, und nur mit entsprechendem Tiefgang kann Größe entstehen. Auch mit tiefen, wahrhaftigen Beziehungen ist es Essig. Jeani ist immerhin verheiratet. Über ihren Partner erfahren wir nichts – er ist für das Stück so wenig wichtig wie für das Leben von Jeani. Ein Nichts, ein Gelegenheits- … ach was: ein Verlegenheits-Gatte. Jeani hat mal „irgendwie dazugehört. Zum Mittelstand. Zum emotionalen Mittelstand.“ Dann war „plötzlich Armutsgrenze … Emotionale Armutsgrenze.“ – Max loggt sich ein in den PC; auf dem Videoschirm inmitten der kargen Bühne sehen wir seinen Benutzernamen: „EPOCHAL“. In einem großen, von Nikolaus Benda auch großartig gesprochenen Monolog träumt Max von seinem Ziel: etwas „Epochalem“. Die Nacht mit Jeani hätte es werden können, damals. Aber Max kriegt meistens keinen hoch. Seine Impotenz ist die Metapher für das ereignislose, an Höhepunkten arme Leben der jungen Menschen, für ihr Leben ohne Zenit. Selbst zum Kuscheln ist der Max nicht geeignet, wie Marina Frenk als Babsi in einem der … ja: Höhepunkte (!) der Inszenierung berichtet: Er legt den Kopf auf ihre Brust, dort wird der schwer, tut weh und verhindert sogar eine ordentliche Selbstbefriedigung. Und Selbstkuscheln geht ja nun mal nicht!

So also ist das Leben an der emotionalen Armutsgrenze: epochal ist da höchstens der iPod bei Saturn, das „totale Produkt … mit dem totalen Psychomehrwert.“ Nach zehn Jahren, in denen man einander nicht gesehen hat: hat man sich nichts zu sagen, aber das tut man mit Emphase. Hektisch übertüncht man die eigene Leere und Bedeutungslosigkeit. Palmetshofers so desillusionierend realistisch wirkende Kunstsprache ist eine Art Partitur, die in verschiedenen Tempi spielbar ist und dann jeweils unterschiedliche Wirkungen hervorruft. Bei der Deutschen Erstaufführung am Volkstheater München (2008) hatte Frank Abt zur erdrückend spießigen Volksstück-Ausstattung ein gemessenes Adagio gewählt, und man folgte der Geschichte unangestrengt und durchaus amüsiert, erlebte den Schrecken der Gesellschafts-Diagnose wie durch einen Schleier. Regisseurin Julia Kohlhaas lässt in Köln eher im Allegro Vivace oder Presto spielen: mit schneller, galoppierender Sprache, übertrieben eckigen, stark choreographierten Bewegungen und gelegentlichen Überhöhungen der luftblasenartigen Aussagen. Humorvolle Pointen inklusive. Für den Zuschauer ist das anstrengender, in den besten Momenten der Aufführung aber auch fesselnder: Der Schrecken packt uns direkter, doch schaffen die Schauspieler auch größere Distanz zu ihren Figuren.

Lange, überdrehte Monologe wechseln sich ab mit kurzen, ein wenig realistischer dargestellten Dialogen – zwischen zwei, selten einmal zwischen allen drei Personen: Die ménage à trois war schon früher in der WG nicht aufgegangen. Die drei Akteure überzeugen mit perfekter Präzision bei der Ausübung der Sprachmusik; Lena Schwarz als Jeani fasziniert dabei mit unbändiger Lust und Spielfreude. Sie ist die älteste der drei Schauspieler, macht aber ostentativ auf besonders cool und jung: mal kieksend, mal rauchig, stets zappelnd und gestikulierend, ist diese Jeani eine Show. Und steckt doch letztlich voller Tragik: Was wird aus dieser hübschen, aber niemals bei sich selbst angekommenen jungen Frau werden, wenn ihre körperliche Attraktivität einmal verflogen ist? – Ganz viel Regen aus tiefschwarzen Wolken war während der gesamten Aufführung über der durch ein kleines Fenster sichtbare Berglandschaft niedergegangen; Regen tropfte am Ende auch vom Schnürboden auf die Bühne. Doch zum Schluss bemerkt Jeani: „Schaut mal, die Sonne!“„Schön“, sagt Max, ohne näher hinzuschauen. Optimistisch wirkt dieses Ende nicht.