Übrigens …

x Gebote im Düsseldorf, Forum Freies Theater

Gott ist tot – lang lebe John Lennon

Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Dann blies er mit seinen drei Assistenten (oder Co-Göttern, Joint General Managers von Create the World Ltd.) Weihnachtsbäume, Blumen und Schafe auf. Und Schäfchenwolken. Dackel, Hühner und Gänse. Gott hatte eine richtige Factory und war doch nicht Andy Warhol. Wilde Tiere und Pflanzen folgten - und der Homunculus; anderen Quellen zufolge hieß der Adam. (Bei den norton.commander.productions sieht er aus wie Reinhold Messner.) Der Schöpfungsakt wird nach und nach mechanisiert; diverse Maschinen werden zu Hilfe genommen – schon im Paradies wurden die Grundlagen für die industrielle Revolution geschaffen. Da kommt die Schlange ins Gebüsch, Äpfel werden in die Bäume gehängt, und dann wird Eva aus der Rippe des Mannes geboren. In hübschen kleinen Tableaux Vivants stellen die Performer alte Motive der Schöpfungsgeschichte aus Bildern von Lucas Cranach nach. Die Vertreibung aus dem Paradies lässt nicht lange auf sich warten. - Irgendwie denkt man zwar, da kommt noch ein Clou. Ein atmosphärischer Bruch, eine Provokation. Doch Teil 1 von Teil 1 der X Gebote ist damit beendet. Von fern erinnert die Performance an das meist sinnfreie, aber skurrile Bildertheater von Monster Truck. Allzu viel Tiefgang hat das nicht, aber witzig und einfallsreich ist das allemal.
Das im Jahre 1995 gegründete und vor anderthalb Jahren mit dem George-Tabori-Preis ausgezeichnete Dresdner Künstlerkollektiv hat im Forum Freies Theater schon viele Projekte gezeigt, die sich im Hinblick auf ihr ästhetisches Konzept stark voneinander unterschieden. Zur Zeit hat sich die Gruppe die Auseinandersetzung mit den „Zehn Geboten“ aus dem Blickwinkel einer säkularen Gesellschaft, in der traditionelle Vorstellungen von Seele, Unsterblichkeit und Religion nicht mehr haltbar sind, auf die Fahne geschrieben und in einem ersten Anlauf die Gebote 1, 5 und 7 beleuchtet. Die Truppe hat dazu ein Triptychon aus Performance, Film und Konzert geschaffen und setzt so ihre Experimente mit unterschiedlichen Stilmitteln konsequent fort. Teil 1 von Teil 1 also: „Ich bin der Herr, Dein Gott, Du sollst keine anderen Götter haben neben mir.“ Trashig, mit Götter-Kollektiv. Spaß machen soll der Abend, sagen Harriet Maria und Peter Meining. Die Performance jedenfalls bietet reichlich Anlass zum Schmunzeln.
Nach der Vertreibung aus dem Paradies landen die Menschen zunächst in der Wüste – und im Parkhaus eines Einkaufszentrums. Das Fünfte Gebot heißt „Du sollst nicht töten“, und dazu sehen wir einen Film. Mit dem Paradies ist auch das überzeugendste Argument für die christliche Heilslehre verloren. Jetzt muss für deren Verbreitung gekämpft werden – bis an die Zähne bewaffnet: mit steinzeitlicher Keule und modernen Maschinengewehren. Gottvater (eher schwach und chargierend: Volksbühnen-Star Hermann Beyer) ist Stanley Kubricks Sergeant Hartman aus „Full Metal Jacket“ und versucht, seine Kinder-Soldaten (Apostel, Evangelisten, Maria Magdalena) zur angsteinflößenden Kreuzritter-Kampftruppe auszubilden. Mit Willkür und Drill, Verachtung und Fäkalsprache. Dieser Gott ist ein durchgeknallter Sadist, der all seine Kinder in die Arme der Psychotherapeutin treibt: Irm Hermann ist hinreißend in ihrer distanzierten, leicht blasierten Noblesse. Einer der Apostel oder Evangelisten ist Joker, der denkende Soldat aus „Full Metal Jacket“: Er trägt den Schriftzug „BORN TO KILL“ auf dem linken und das „Peace“-Symbol auf dem rechten Bein als Ausdruck für „die Dualität des Menschen“. Denken aber führt zu dem Ergebnis, dass man Gottvater selbstbewusst sagen kann: „Ich bin ein Produkt der Evolution.“ Und schon hört keiner mehr auf Gott. Denn Gott ist tot. „Du sollst nicht töten“ – mit Waffen nicht noch mit Gewalt. Gott auszublenden dagegen verstößt zwar gegen dessen Gesetz, befreit aber seine Kinder. – Kameramann Rene Liebelt fängt im Einkaufszentrum und im Parkhaus phantastisch suggestive Bilder ein; ansonsten wirkt der filmische Mittelteil des Triptychons trotz der Kubrick-Parallelen ein wenig langatmig.
Nun, da Gott tot ist, können seine Jünger befreit ihre Kreativität im Konzert ausspielen. „Du sollst nicht stehlen“, heißt Gebot Nummer 7, und hemmungslos bedienen sich die sieben Musiker und Performer bei John Lennon: Fast eine Stunde lang (inkl. einer vom Publikum frenetisch geforderten Zugabe) spielen sie Lennons „Imagine“. – „Imagine there’s no heaven, it’s easy if you try; no hell below us, above us only sky…“: a cappella als eine Art Liturgie, witzig auf der Blockflöte, trommelfellzerfetzend als Heavy-Metal-Getöse, charmant und deutschsprachig zum Geklingel einer Spieluhr, als Punk- und als Country-Version oder in einer Italo-Pop-Variante. Musikalisch hochkarätig - John Lennon wäre begeistert gewesen. So hätte er sich gern beklauen lassen. Und als er am Ende erschossen wird, steht er einfach wieder auf und singt weiter. - Und wir? Begeben uns nach diesem furiosen Abschluss beglückt auf den Heimweg. Die Jungs und Mädels von den norton.commander.productions haben Gott getötet, John Lennon beklaut und den Schöpfungsprozess industrialisiert und mit ihrer Phantasie und Experimentierfreude die Neugier auf die nächsten Schöpfungen im Rahmen ihres Zehn-Gebote-Zyklus geweckt.