Über die Grenzen der Freiheit
Friedrich Schillers 1780 vollendetes Schauspiel Die Räuber wurde 1782 in Mannheim uraufgeführt. Der Publikumsansturm war enorm, der Erfolg überwältigend. Ein Premierenbesucher: „Das Theater glich einem Irrenhaus….Fremde Menschen fielen einander schluchzend in die Arme….Es war eine allgemeine Auflösung wie ein Chaos, aus dessen Nebeln eine neue Schöpfung hervorbricht“.
Der Inhalt: Zwei Brüder, Karl und Franz, rivalisieren um die Gunst des Vaters. Karl, der Ältere, ist der Lieblingssohn des alten Moor. Franz ist entschlossen, sich aus des Bruders Schatten zu befreien. Skrupellos strebt er das Erbe an und ebenfalls die Liebe von Amalia, Karls Braut (er ist gewillt, „alles um mich her auszurotten, was mich einschränkt, dass ich nicht Herr bin“). Gern nimmt er dafür die Zerstörung der Familie in Kauf. Franz bringt den Vater dazu, Karl zu verstoßen. Karl rutscht in die Illegalität ab und gründet eine Räuberbande. Wobei er als eine Art „Robin Hood“ die Welt verbessern will. Auch dies geht nicht ohne Opfer ab. Sein Kompagnon Spiegelberg will nur die Gesellschaft bekämpfen und verletzen, ein zügelloses Leben führen und sich bereichern.
Schillers erstes Theaterstück spiegelt den Wunsch, den eigenen Lebensplan ungehindert selbst bestimmen zu können. Kann man Opfer rechtfertigen, wenn man der Welt den eigenen Willen aufzwingt? Karl und Spiegelberg versuchen sich in der Rebellion. Franz ist im gesellschaftlichen System verankert. Alle drei setzen Gewalt ein, um ihre Wünsche zu realisieren, alle drei sind fanatisch. Letztlich gewinnt keiner.
Jan Klata, 1973 in Warschau geboren, gehört zu den wichtigsten polnischen Regisseuren. Klata interessiert besonders die Rebellion der Söhne gegen den Vater, die „Generationenrevolte“. Er hat Schillers Text radikal gekürzt. Zum Teil ersetzen eindrucksvolle Bilder, tänzerische Aktionen und Videos den Text. Man mag die gestrichenen Stellen vielleicht vermissen. Dennoch vermittelt diese Inszenierung genau das, was das Stück immer aktuell bleiben lässt: den Protest der Jugend, die mit der bestehenden Gesellschaft nicht zurecht kommt und versucht, die existierenden Grenzen niederzureißen, um sich eine neue Welt zu erschaffen. Klatas Räuber (Dimitrij Schad, Nicola Mastroberadino, Ronny Miersch und Raiko Küster) treten auf der fast puristischen Bühne – im Hintergrund eine Art stilisierter Wand, die an Orgelpfeifen erinnert, vorne eine Pfütze – wie eine Street Gang auf. Überall tätowiert, mit Piercings und nacktem Oberkörper, so stürmen sie grölend über die Bühne, die Fleisch gewordene Bedrohung des braven Bürgers. Wenn sie sich übereinander werfen und zu einem Haufen von Leibern verschmelzen, so ist das ein höchst einprägsames Bild einer Räuberbande. Verstärkt wird dieser Eindruck durch Sprechchöre, direkt an das Publikum gerichtet. Passend dazu ein auf die seitlichen Metallwände projizierter Wolfskopf.
Franz, grandios gespielt von Florian Lange, erscheint in einem hellen Anzug. Fasziniert verfolgt man sein Intrigenspiel, seine Eifersucht auf Karl, sein Buhlen um Amaliens (gut: Kristina Peters) Gunst. Kaum glaubt er den Vater tot, so rollt er ihn in eine Plastikfolie ein und steckt den noch Lebenden in eine Kiste. Gelungen das Bild, in dem er Amalia nötigt, ihn zu küssen, um Karls Ring, den Franz in seinem Mund versteckt hat, zu bekommen. Felix Rech (Karl) überzeugt als Räuberhauptmann, verblasst aber gegenüber Lange als zentralem Bösewicht der Sonderklasse.
Eine ungewöhnliche Version des Räuber-Stoffes, ein äußerst beeindruckender Abend mit einem starken Ensemble, das die Aktualität von Schillers Thematik nachhaltig unterstreicht.