An Horváth vorbei
Dass der Premiere von Ödön von Horváths Zur schönen Aussicht im Kölner Horizont-Theater tags darauf eine weitere bei der Ludwig-Thoma-Gemeinde in Dachau folgte, ist ein zweifacher Hinweis. In gängigen Schauspielführern kaum nachgewiesen, wurde das Stück in den letzten Jahren doch mehrfach gespielt (München, Bremen, Weimar, Oberhausen); der unverändert bleibende Schauplatz, ein schon etwas herunter gekommenes Hotel „Zur schönen Aussicht“, lässt sich auch an kleineren Bühnen gut realisieren. Auf der kleinen Spielfläche des „Horizont“ laufen die sieben Darsteller zwar mitunter Gefahr, sich gegenseitig auf die Füße zu treten, aber das passt irgendwie zur Situation, wo Menschen aufeinander treffen, die sich eigentlich lieber aus dem Wege gingen.
Zur schönen Aussicht, vom Mittzwanziger Horváth 1926 geschrieben, aber erst 1969 in Graz uraufgeführt, enthält im Grunde schon alle Zutaten seiner späteren Dramen, über die er selber sagte: „Sie sind Tragödien, sie werden nur komisch, weil sie unheimlich sind.“ Horváths wohl bekanntestes Stück Geschichten aus dem Wiener Wald lässt diese Doppelbödigkeit bereits im Titel spüren, für Zur schönen Aussicht gilt dies nicht minder. Die Aussicht für die handelnden Personensind kaum anders als trübe zu nennen Hotelbesitzer Strasser, Ada, die flotte Freifrau von Stetten (einzig zahlender Dauergast), ihr Chauffeur Karl, Kellner Max, Sektvertreter Müller sowie Adas Bruder Emanuel, Spieler mit erdrückenden Schulden - sie alle liegen existenziell oder seelisch am Boden, trauern besseren Zeiten nach. Diese Situation breitet Horváth lange, unendlich lange vor dem Zuschauer aus; ein paar mutige Striche hätten nicht geschadet. Aber Regisseur Thomas Wenzel bekommt das Stück eh nicht in den Griff.
Wenn der Kellner zu Beginn seine Zehennägel mit einem Messer manikürt und Emanuel als Stotterer auftritt (zunächst amüsiert man sich über Egmont Stawinoga noch guten Gewissens), wird bereits die inszenatorische Marschrichtung deutlich, welche Horváth dem Boulevard-Milieu ausliefert. Keinem der Darsteller gelingt es, seinen Charakter auch als brüchig zu zeigen (ganz spät hat Gabriele van Boxen als Ada einen glücklichen Moment), den Worten einen bösen, womöglich sadistischen Unterton zu geben. Am ehesten gelingt das noch Björn Lukas (Max), auch wenn er vom Regisseur hin und wieder zu kabarett-dümmlichen Stimmfärbungen animiert wird.
Besonders heikel wird der Abend, wenn sich die Herren der Schöpfung zusammenrotten und Christine verspotten, die plötzlich hereinschneiende einstige Geliebte Strassers. Um diesem aus der Patsche zu helfen (Unterhaltszahlungen für das uneheliche Kind), behauptet ein jeder, mit dem Mädchen ebenfalls geschlafen zu haben, womit dieses als notorische Hure gebrandmarkt ist. Als Christine verlauten lässt, sie sei durch den „lieben Gott“ zu Reichtum gekommen, verkehren sich die Verhaltensweisen der Männer ins Gegenteil. Gierig wird Christine umworben; nur Strasser beweist in einem späten Anflug von Anstand Rückgrat, bekennt sich schuldig und gibt zu, dass ihn jetzt nur das Geld interessiert. Diese Szene vermag Aydin Isik alleine wegen seines verbliebenen türkischen Akzents, der bei anderer Gelegenheit durchaus schon Wirkung machte, nicht zu beglaubigen.
Der psychologische Schachzug bei der Strasser-Figur ist sicher auch nicht der beste von Horváth. So wäre es die Aufgabe der Regie gewesen, korrigierend einzugreifen und die tieferen Absichten des Autors sinnfällig herauszuarbeiten. Doch damit scheitert Thomas Wenzel ziemlich gründlich. Er leitet das immer stärker lachende Publikum nur auf falsche Fährten. Keine Korrektur kommt Eva Marianne Kraiss, die der Christine letzte mädchenhafte Glaubwürdigkeit schuldig bleibt; und Thomas Bleidiek (Müller) spielt vor allem Thomas Bleidiek.