Übrigens …

Endstation Sehnsucht im Wuppertal, Theater

„Whoever you are – I have always depended on the kindness of strangers”

 

Tennessee Williams’ Stück Endstation Sehnsucht beginnt lange vor dem Bühnengeschehen in der Kindheit und Jugend der Schwestern Blanche und Stella DuBois auf der Plantage „Belle Reve“ in Mississippi und erzählt die Geschichte dieser jungen Frauen. Sie versuchen beide, eine Identität zu finden, die nicht von einem erdrückenden Erbe und der Auflösung der dekadenten Südstaatengesellschaft bestimmt wird. Die jüngere Schwester Stella hat ihren sozialen Abstieg akzeptiert, hat nach unten geheiratet und ist mit ihrem plebejischen Mann Stanley Kowalski, mit dem sie eine handgreiflich-sinnliche Ehe führt, in die Stadt gezogen. Blanche kämpfte lange darum, das alte Leben aufrecht zu erhalten. Sie unterrichtete Englisch, verlor aber ihre Stelle in Folge einer Liaison mit einem Schüler. Nun sucht sie Zuflucht bei ihrer Schwester, die an der Endstation einer Straßenbahn der Linie „Desire“ in New Orleans lebt. Blanche DuBois und Stanley Kowalski – zwei Namen, die für zwei Welten stehen. Der Macho, der den Einwanderer-Optimismus verkörpert, und die Südstaatendame, die sich immer noch verzweifelt an ihrem Idealismus und ihren Lebensträumen festhält („Ich will keinen Realismus, ich will Magie“). Von Anfang an stehen sich die beiden als Feinde gegenüber. Blanche wollte eigentlich nur eine Weile abtauchen, ihre persönlichen Niederlagen vergessen – doch in der engen Wohnung der Kowalskis lässt sich kein Geräusch überhören, kein Geheimnis hüten. Kowalski spürt, dass Blanche sich wie eine Ertrinkende an seine Frau klammert. Aus Angst, sie und sein Zuhause zu verlieren, und provoziert von Blanches Maske der Vornehmheit, zerstört er die sich anbahnende Beziehung zu seinem biederen Freund Mitch und schließlich auch ihre letzte Hoffnung, in der Realität eine Heimat und Geborgenheit zu finden. Blanche bleibt nur ihre Phantasie und ihre Traumwelt.

Claudia Bauer erarbeitete mit Endstation Sehnsucht ihre dritte Produktion an den Wuppertaler Bühnen (nach Im Dickicht der Städte und Macbeth).

Nicht nur vom Stück her, nein, auch in der Inszenierung von Bauer steht Blanche im Mittelpunkt, gespielt von einer überragenden Sophie Basse. Gleich zu Beginn wird der Kontrast zwischen ihr und der Welt ihrer Schwester akzentuiert. Blanche erscheint in einem adretten, rosa Schneiderkostüm, ängstlich umherschauend, Stella und Stanley und ihre Nachbarn und Freunde, in Satinblousons und anderer lässiger Kleidung, laufen herum, palavern, schreien – dazu läuft laute Musik.

Blanche, nervös und unsicher, kann ihre Bestürzung ob der in ihren Augen primitiven Lebensumstände ihrer Schwester nicht verbergen. Anne-Catherine Studer gibt Stella ein wenig eindimensional, meist betont forsch-fröhlich und grinsend. Holger Kraft überzeugt als Stanley Kowalski, den er mal als selbstbewussten Ehemann gibt, der bestimmt, was im Hause zu geschehen hat. Dann wieder berührt er die Zuschauer, wenn er wie ein Kind weint, nachdem er gerade seine Frau brutal verprügelt hat. Lutz Wessel als Mitch ist ein Gewinn. Optisch wirken er (klein) und Sophie Basse (sehr groß) eher wie Witzfiguren. Tragisch, dass sich diese beiden nach einem Partner Suchenden nicht finden. Rührend, wie sie sich linkisch an einander herantasten – Mitch unbeholfen in seiner Werbung, Blanche erzählt ihm von dem Selbstmord ihres Mannes, was viel von ihrer Verletzlichkeit erklärt. Schockierend Mitchs (gescheiterter) Versuch, sie zu vergewaltigen, nachdem sein Kumpel Stanley ihn über Blanches Vorleben aufgeklärt hat.

Die Figuren Tenneessee Williams’ – allesamt Verlierer und Enttäuschte – überzeugen heute wie damals, 1946/47. Einsamkeit, Illusionsbedürftigkeit und Hilflosigkeit, aber auch die Suche nach Sicherheit und erfüllten Träumen kennzeichen sie.

Was die durchaus sehenswerten Leistungen der Schauspieler in Wuppertal mindert bzw. von ihnen ablenkt, sind die Szenenüberleitungen, in denen die Darsteller im Stroboskoplicht hektisch zur Musik von Smoking Joe über die Bühne wuseln, auch mal auf Rollschuhen. Zeitweise schreien die Schauspieler, Stans Pokerfreunde reden manchmal artifiziell oder im Chor – was das Verstehen nicht gerade fördert. Schön das Schlussbild, wenn Blanche, die Meisterin des Selbstbetrugs, am Arm des Irrenarztes strahlend zu schnulziger Filmmusik einem rosarot angeleuchteten Horizont entgegenschreitet.

Ein Abend der in einer Zeit, in der Depressionen kein Tabu mehr sind, beeindruckende Momente vermittelt, in erster Linie dank Sophie Basse, der aber durch manche nicht nachvollziehbare Regieeinfälle verliert.

Das Wuppertaler Publikum sparte nicht mit Beifall.