Kein Haar, sondern ein Zahn in der Suppe
Roland Schimmelpfennig gehört zu den fleißigsten und auch fleißigst gespielten Dramatikern in (nicht nur) deutschsprachigen Landen. Kontinuierlich sind seine Stücke bei den Mülheimer Theatertagen und auch beim Berliner Theatertreffen zu sehen. Dabei macht es die konstruktivistische Sprachästhetik, die surreale Spielform den Zuschauern eigentlich nicht leicht. Das gilt auch für Der goldene Drache, 2009 am Wiener Akademietheater uraufgeführt. Für Köln-Insider: die Wiener Darsteller Christiane von Poelnitz und Barbara Petritsch gehörten vor Jahren zum Ensemble der hiesigen Städtischen Bühnen. Am Theater im Bauturm agieren natürlich Darsteller der Freien Szene, teilweise von anderen lokalen Spielorten her bekannt.
Weitläufig kreist das Thema von Schimmelpfennigs Stück um das Einwandererproblem. Der Goldene Drache ist nicht etwa ein glamouröses Gebäude, sondern eine ziemlich schäbige Fast-Food-Bude im Souterrain eines weitläufigen Gebäudes, in welchem allerlei Menschen ihren problematischen Alltag fristen. Im Restaurant arbeitet ein junger Asiat (aus China, Vietnam oder woher auch immer) und hat es als illegaler Einwanderer immer noch besser getroffen als seine Schwester, die sich jenseits der Straße prostituieren muss.
Schimmelpfennig ist es nicht um soziologisch exakte Dokumentaton zu tun, da er nicht nur bei diesem Thema „normalen Theatermitteln“ misstraut. Der Schreibauftrag für Der Goldene Drache kam vom Riksteatern Stockholm, wo man offenkundig einen Realismus à la Ibsen oder Strindberg erwartete. Dafür war Schimmelpfennig nicht zu haben. Die Aufführung kam nicht zustande und man ersetzte - eigentlich nicht ganz logisch - die Novität durch das Stück Auf der Greifswalder Straße, kaum minder abstrakt. Der Blick Schimmelpfennigs auf die Welt ist nun einmal nicht pathetisch sezierend, sondern theatralisch immanent mit starker ironischer Akzentuierung. Die Sprache des Autors verweigert sich linearer Entwicklung, staccatiert wie ein Lichthacker, springt von Gedanke zu Gedanke, bemüht mit dem Wort „Pause“ immer wieder auch den Brechtschen Verfremdungseffekt.
Zu einem fundierten gesellschaftskritischen Fazit dringt das Stück bewusst nicht vor. Im besagten Restaurant arbeitet ein Asiat, der mit seinem kariösen Zahn nicht legal zu einem Arzt gehen kann. Unter Benutzung von reichlich Alkohol wird das schmerzende Objekt in (tödlich ausgehender) Self-made-Methode herausgebrochen und landet dann zufällig in einer bestellten Suppe. Dieser Vorgang vermengt sich mit anderen banalen Geschehnissen zu einem Mosaikheterogener Episoden, symbolisch ergänzt durch Einstreuungen aus der Fabel von Ameise und Grille. Wenn Zahn und toter Zahnbesitzer in einem Fluss entsorgt sind und gen Heimat strudeln, schließt sich ebenso friedfertig wie unfriedlich ein Kreis.
In der spinnennetzartigen Ausstattung von Flavia Schwedler agieren am Bauturm wahrhaft furiose Darsteller (Till Brinkmann, Eva Horstmann, Rebecca Madita Hundt, Manuel Moser sowie - mit besonderer Präsenz - Kai Hufnagel). Ihr komödiantisches Feuerwerk sorgte beim Premierenpublikum für aufgekratzte Stimmung. War das aber im Sinne des Autors? Das Programmheft zitiert einsichtig: „Schimmelpfennings surrealistische Textmontagen … geben für Regisseure keine leichte Vorlage ab.“ Rüdiger Papes bewundernswertes inszenatorisches Feuerwerk verhakt sich denn auch etwas im Genre der Komödie, lässt im Absurden nicht immer genügend Abgründiges spüren.