Übrigens …

Immer noch Sturm im Mülheim, Theater an der Ruhr

Slowenische Geister

Im Jahr 1938 rollten deutsche Panzer nach Österreich und ein Teil der Einwohner feierte die „Heimkehr ins Reich“. Eine kleine Bevölkerungsgruppe im Süden von Kärnten war entsetzt von der politischen Entwicklung, die slowenische Minderheit. Von ihr ging auch der einzige bewaffnete Widerstand gegen die Okkupation aus. Der österreichische Autor Peter Handke hat mütterlicherseits Wurzeln in der slowenischen Volksgruppe. In Immer noch Sturm verknüpft er deren Schicksal mit einer Familiengeschichte, die seiner eigenen sehr ähnlich ist.

„Was habe ich verbrochen, dass meine Vorfahren mich fallen gelassen haben wie einen verlorenen Sohn oder einen stinkigen Erdapfel“, fragt sich ein älterer Mann, Rollenbezeichnung „Ich“. Der Mann liegt sinnierend im Bett. In einem Tagtraum phantasiert er sich zurück nach Kärnten in die Zeit 1938 bis 1945. Unehelich ist er gezeugt, mit doppelter Schande. Die Mutter gehört zur slowenischen Minderheit, der Vater ist deutscher Soldat.

Sturmumweht, geisterhaft steigen sie herein durchs große weiße Fenster: Sieben Vorfahren, Großeltern und deren fünf Kinder. Sie erklären, spielen, zelebrieren ein dramatisches Gedicht. Das verwebt in heiter glanzvoller Sprache das Familienschicksal mit dem der Slowenen in Österreich. Die Nazi-Regierung „deutscht“ sie ein. Einige müssen für das Reich in den Krieg ziehen, andere kämpfen als Partisanen gegen die Okkupation. Drei sterben. Für sie und ihr Volk bleibt der Undank der Geschichte. Die politischen Flüche des Großvaters laufen ins Leere, die privaten belasten den Ich-Erzähler.

Die Inszenierung des 78jährigen Roberto Ciulli bietet eine melancholische, konzentrierte Atmosphäre. Das schimmernde Fenster und die strahlend weißen Platten im Bühnenzentrum erzeugen Traumstimmung. Die drumherum aufgeworfenen schwarzen Flocken erinnern an geackerte Erde oder die Asche des Kriegs. Wenn dort hinein Äpfel oder Totenschädel gerollt werden, ist das eine von vielen klug und präzise gesetzten Inszenierungsideen. Die Schauspieler bieten dichte Stimmung, spielen großartig und hochpräsent. Perfekt reagieren sie auf Worte der anderen mit Lachern und Gesten. Sympathisch lobpreisen sie Kärntner Äpfel und Bienen und empören sich bäuerlich stoisch über den deutschen Krieg. Stilbewusst, durchdacht und poetisch zeigt das Theater an der Ruhr einen starken Abend zwischen Totentanz und Aufklärung.