Übrigens …

Liliom im Wuppertal, Theater

„Hau doch ab, du negative Auslese.“

Franz Molnar (1878-1952) ist einer der umstrittensten Dramatiker des 20. Jahrhunderts. Sein Bekanntheitsgrad auf der ganzen Welt ist unumstritten, wurden seine Werke in nicht weniger als 24 Sprachen aufgeführt. Manche bewundern ihn als Bühnendichter, andere nennen ihn nur einen brillanten Bühnenhandwerker. Theaterwissenschaftler betonen Schnitzlers Einfluss auf Molnars frühe Stücke, zu denen auch Liliom gehört. Die Uraufführung dieses eher ernsten und tragischen Werkes1909 in Budapest geriet zum Debakel, das Publikum verließ in Scharen den Zuschauerraum. 1913 kam es in Wien zur deutschsprachigen Erstaufführung, 1914 war die Deutschland-Premiere in Berlin und 1931 gelang Hans Albers ein durchschlagender Erfolg in der Rolle des Schiffschaukelassistenten, österreichisch Hutschenschleuderers Liliom. Die Geschichte des Vorstadt-Hallodris wurde danach ein fester Bestandteil des Repertoires deutschsprachiger Bühnen und des Broadways.

Liliom ist ein rauflustiger Weiberheld. Und dennoch ein sanfter Gauner, der den Brutalen manchmal spielen muss. Als die Dienstmagd Julie ein Kind von ihm erwartet und er von der eifersüchtigen Frau Muskat, bei der er als Karussell-Ausrufer angestellt war, hinausgeworfen wird, lässt er sich auf einen Plan des Verbrechers Ficsur ein. Sie wollen einen Geldboten überfallen. Das Ganze geht schief. Liliom begeht lieber Selbstmord als ins Gefängnis zu gehen. Aus dem Fegefeuer darf er 16 Jahre später für einen Tag zurück auf die Erde, um seinen Lieben etwas Gutes zu tun.

Molnar erzählt die Geschichte dieses Strolchs Liliom, der einen Raubmord versucht, um für sein ungeborenes Kind Geld zu beschaffen, auf seine eigene gefühlvolle Weise. Liebe wird nicht pathetisch dargestellt, „Liebe ist etwas Gegebenes, gleich etwa der … Zentrifugalkraft“ (Alfred Polgar). Die Menschen im Stück stehen alle auf der Schattenseite des Lebens und schlagen sich auf unterschiedliche Weise durch. Liliom weigert sich, sich zu unterwerfen und scheitert letztendlich.

Sybille Fabian, die in Wuppertal bereits Kafkas Prozess und Wedekinds Lulu inszenierte, verlegt die Handlung in eine nicht näher zu verortende Nachkriegswelt, eine Stunde null, in der alle ums Überleben kämpfen. Das Karussell, eine kreisrunde Ebene in der Mitte der schmucklosen Bühne, lädt ein zum Teilhaben an der Gesellschaft, birgt aber auch die Gefahr, hinausgeschleudert zu werden.

Der Abend beeindruckt und schockiert gleichzeitig. Gleich zu Beginn sehen wir eine Menschengruppe, die sich zeitlupenartig bewegt. Im Hintergrund eine halbrunde, hoch hinaufragende Betonwand mit Nischen, die an leere Fensterhöhlen erinnern. In blaues Licht getaucht erscheinen die Akteure fast wie Wesen von einem anderen Stern, sehen die Figuren doch alle gleich unfertig aus. Die unwirkliche und fremde Atmosphäre erinnert an Science Fiction Szenarien. Auch die reduzierten Kostüme, die oft die nackten Körper zeigen. spiegeln die desolaten Lebensumstände. Es ist hilfreich, die Geschichte des scheiternden Liliom und seiner Julie, die trotz aller Brutalität seinerseits unerschüttlich an ihre Liebe glaubt, zu kennen. Man muss sich auch auf die ungewohnte Ästhetik einlassen, auf die oft krampfartig zuckenden Leiber. Ebenso auf die sich häufig brutal, aggressiv und ordinär gebenden Personen wie An Khuon als geifernde Frau Hollunder („Ratten muss man tot schlagen“). Warum Gregor Henze (gut) Frau Muskat spielen muss mit Hinkefuß und halb rasiertem Schädel, erschließt sich nicht unbedingt. Thomas Braus überzeugt als Liliom besonders in ruhigeren Szenen, so etwa wenn er seine Ängste beschreibt. Julia Wolff spielt eine Julie, die ihre ganze Hilflosigkeit allein schon durch ihre Körpersprache zum Ausdruck bringt.

Ein Abend mit exzellenten Schauspielern, die alle über eine hervorragende Körperbeherrschung verfügen. Öfter, allein schon durch die hämmernde Musik, an die Grenzen der Zumutung gehend, genauso oft aber beeindruckend durch nachhaltige Bilder.

Das Publikum reagierte sehr unterschiedlich. Vom wütenden Protest und Verlassen des Saales bis zum begeisterten langen Schlussapplaus.