Übrigens …

Draußen vor der Tür im Bochum, Schauspielhaus

Nach Hause kommen und wieder nicht

Ein Stück, das kein Theater spielen und kein Publikum sehen will“ – so der Untertitel von Wolfgang Borcherts Draußen vor der Tür, das im Februar 1947 vom Nordwestdeutschen Rundfunk als Hörspiel gesendet und im November 1947 in den Kammerspielen in Hamburg uraufgeführt wurde. Einen Tag vor der Bühnenpremiere starb Borchert.

Borchert hatte die Realität des Krieges schmerzlich am eigenen Leibe erfahren (er war 1941 zu den Panzergrenadieren eingezogen und an die Ostfront kommandiert worden) und seine Erlebnisse in der Geschichte von Beckmann verarbeitet. Das Werk schien lange an die Nachkriegssituation gekoppelt zu sein und spielt in einer Gesellschaft, die sich 1945 am Nullpunkt sah.

David Bösch hat die Urfassung verschlankt und das umfangreiche Personal zusammengestrichen, so dass der Fokus ganz auf die Auswirkungen des Krieges gerichtet ist. Borcherts Klassiker gewinnt dadurch überraschende Aktualität, denken wir an Afghanistan, den Kosovo oder an die diversen Bürgerkriege auf dem afrikanischen Kontinent. Bomben zerfetzen die Körper, der Krieg zerstört die Seelen. Böschs Idee, die zwei Seiten des Soldaten Beckmann durch zwei sehr unterschiedliche Schauspielertypen darstellen zu lassen, macht die innerliche Zerrissenheit dieses Menschen sichtbar, der zugleich Opfer und Täter ist – wie alle Soldaten. Sie töten und sie leiden. Sie haben den Tod gesehen und ums nackte Überleben gekämpft und den Kokon aus Moral, Freundlichkeit und Glauben, der den zivilen Menschen umgibt, zerrissen. Auch Soldaten heute finden nur zu oft nicht zurück in die heile Welt, die sie als Fremdkörper erkennt und ablehnt. Sie bleiben draußen vor der Tür.

Bösch lässt Florian Lange den Opfer-Beckmann spielen. Mit Krücke und Gasmaske tappt er als Heimkehrer aus russischer Gefangenschaft über die öde Bühne. Diese ist bedeckt von Erde, eine Pfütze symbolisiert wohl die Elbe, in der sich Beckmann zu Beginn ertränken will, ferner sind da eine Art Gully, ein altes Waschbecken, ein kaputter Stuhl. Beckmann, verzweifelt auf der Suche nach einem normalen Leben, nach Vertrautem, nach einem Fetzen Glück, geplagt von furchtbaren Erinnerungen – all dies schmerzlich-intensiv vermittelt von Lange. Nicola Mastroberadino verkörpert – ebenso glaubhaft – sein Alter Ego, den zynischen, sadistischen Soldaten und Killer. Aggressiv und gewalttätig verprügelt und vergewaltigt er den „anderen Beckmann“. Ein starkes Bild für die Verletzungen von Leib und Seele durch den Krieg.

Anrührend auch die kurze Beziehung zwischen Beckmann (Lange) und dem Mädchen (Kristina-Maria Peters), das aus dem Wasserloch im Boden auftaucht. Naiv und liebevoll nähert sie sich dem verwirrten „Chaosgespenst“. „Du siehst wunderbar aus, Fisch“, spricht sie ihn zärtlich an. Mit seinem Kuss scheint das Mädchen ihm förmlich den Lebensatem einzuhauchen. Als sie dann doch wieder im Boden verschwindet, reckt sie ihre Hand noch einmal aus dem Loch heraus – und Beckmann drückt sein Gesicht hinein, ein bewegendes Bild.

Bedrohlich Henrik Schubert als Tod, der mit einer weißen Maske und spinnenartig verlängerten Armen wie ein Rieseninsekt auf die Bühne krabbelt. Der Tod wird auch durch ein auf die Rückwand projiziertes Video wiedergegeben, in dem ein immer größer werdender Riese als Schatten zu sehen ist. Beklemmend die schwarz-weißen Projektionen von Soldaten, die immer wieder das Kriegsthema zusätzlich illustrieren.

Borchert lässt Beckmann die Gretchenfrage nach dem Glauben stellen. Bösch stellt Gott (erkennbar nur durch die Schrift auf der Rückseite seines schmutzigen Bademantels) gleich zu Beginn auf die Bühne. Raiko Küster spielt ihn als alten Zausel mit Strickmütze, der eine verstaubte Bibel mit sich herumträgt. Inquisitorisch befragt ihn der aggressive Beckmann (Mastroberardino) im Kapuzenhemd und in zeitlosen, verdreckten Militärklamotten: „Bist du der liebe Gott?“ und „Warum bist du eigentlich lieb, lieber Gott?“ Dieser Gott, an den keiner mehr glaubt, verschwindet samt Bibel dann auch im Boden. Am Ende darf Gott noch einmal auftreten. Aber selbst die Bühnentechnik gehorcht ihm nicht mehr, der eiserne Vorhang bleibt auf halbem Wege stecken. Frustriert reißt sich Küster Mütze und Perücke vom Kopf. Gott hört auf zu existieren, der Schauspieler geht ab.

Ein umwerfend packender Abend mit Bildern, die lange im Gedächtnis bleiben werden. Mit exzellenten Schauspielern, wobei Lange und Mastroberardino ein besonderes Lob auszusprechen ist. Ein außergewöhnliches und mehr als sehenswertes Theatererlebnis. Frenetischer Beifall.