Übrigens …

Fasada 1/2 im Düsseldorf, Forum Freies Theater

Deutsch-polnische Erinnerungen

Traumstädte der Welt – da denkt man an Sydney, San Francisco, Kapstadt oder Vancouver, an Paris, London oder Lissabon. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs vor mehr als 20 Jahren ist eine hinzugekommen: Krakau, die schönste Stadt Polens. Fabian Lettow und Miriam Schmuck vom kainkollektiv haben sich im Sommer 2011 auf Initiative des NRW KULTURsekretariats im Rahmen eines deutsch-polnischen Austauschprojekts mit dem Teatr Nowy aus Krakau aufgemacht, die Stadt zu erkunden. Die Stadt der Touristen, die Stadt der Arbeiter, die Stadt der Juden – im jüdischen Viertel Kazimierz ist das Teatr Nowy angesiedelt -, die Stadt der jungen, aufstrebenden Nach-Wende-Generation. Die Stadt nahe Auschwitz.

Sie tun das aus der Perspektive der 89er Generation: „Ich bin das erste nichtkommunistische Kind Polens“, sagt jeder der drei direkt von der Krakauer Schauspielschule rekrutierten Performer von sich. Sie beginnen mit einer Dia-Show, die schon die gesamte Bandbreite der Krakau-Eindrücke umfasst: Vom Fiaker über das Hinweisschild zu Auschwitz bis zu den alten orthodoxen Juden im Straßenbild. Bilder des neuen und des alten Polens, bei Hausfassaden und Straßen ebenso wie bei Menschen: „Überschminkt werden die Löcher“, sagt Weronika Wronka: „Findet ihr mich hübsch?“ Wir sehen Krakau als „Steinkulisse“, „Film-Set“, „Touristenhochburg“ und „Erinnerungsplatz“ – das Erinnern wird eine zentrale Bedeutung in der metaphernreichen Inszenierung einnehmen. „Erinnern heißt vergessen“, heißt es mehrfach. Die orthodoxen Juden fungieren in der Touristenstadt als Sightseeing-Sensation. Die Touris gehen oberflächlich mit der Stadt um, kaufen wahllos zusammen: den grünen Plüschdrachen, den traurigen Holzjuden und die Klezmer-CD. Bunte Erinnerungs-Schnappschüsse.

Doch in Interview-Fetzen tauchen andere Erinnerungsschnipsel auf: an den Geheimdienst, an Sklaverei, an Widerstand und Revolution. An die dunkle Repression im Kommunismus. Und immer wieder an Auschwitz: Schmuck und Lettow arbeiten wie stets in überbordendem Maße mit Assoziationsmaterial, sprechen von den Phantomen der Toten (und die Schauspieler beschmieren ihre Gesichter mit weißer und schwarzer Farbe); behängen sich über Kopf mit alten Pelzmänteln am Kleiderbügel – in der Nachbarschaft dieser angedeuteten Geschichte(n) löst auch die Information über die steigende Anzahl von Gasexplosionen in den alten, unrenovierten Krakauer Häusern von heute den Gedanken an Okkupation und Holocaust aus. Erinnerungen gibt es auch an Steven Spielberg, der in Krakau „Schindlers Liste“ drehte und gleichzeitig an der Fertigstellung von „Jurassic Park“ arbeitete: tagsüber Nazi-Geschichten, abends die Dinosaurier. Und an die Dinosaurier einer anderen Welt, die in Nowa Huta ebenso zu besichtigen sind wie im heimischen Duisburg: die Relikte der Stahlindustrie.

Was wiederum zu anderen Fragen führt: Ist Polen heute eigentlich Ost oder West? Und „Wie tanzt man den deutsch-polnischen Austausch?“ In den Videobildern stehen moderne Einbauschränke und Antiquitäten für beide Welten: für Alt und Neu. Und wir verstehen: Krakau ist komplexer als es der Tourist, der Krakau schon als eine der Traumstädte der Welt identifiziert hat, wahrnimmt. Es ist ein Schmelztiegel aus ganz alten Kulturen und neoliberaler Modernität, aus zusammenbrechenden historischen und glamourösen neuen Fassaden, aus der tragischen Geschichte von Okkupation und Diktatur, aus orthodoxer Gläubigkeit und blindem Zukunftsglauben. Wir sollten die Vergangenheit nicht vergessen.

Irgendwie verstehen wir das. Obwohl es uns die Aufführung nicht einfach macht: Die Bilder sind vornehmlich Video- und Dia-Projektionen; die drei Schauspieler sprechen polnische Texte dazu, die dem der Sprache Unkundigen auf beiden Seiten der Bühne unvollständig schriftlich übersetzt werden. Da auf der Bühne wenig Aktion herrscht, die das Gesprochene erläutert, ist das anstrengend. Wir spüren, dass die Erinnerung, die in dieser Aufführung so häufig heraufbeschworen wird, mit viel Emotion verbunden ist. Aber nachempfinden können wir diese Emotion nicht, weil wir uns zu sehr auf das Textverständnis konzentrieren müssen. Und weil, wie so oft beim kainkollektiv, die Textcollage so kopflastig ist. Aber wenn wir irgendwann nach Krakau reisen, dann werden wir mit höherer Sensibilität den Erinnerungen nachspüren, die diese Stadt abseits des touristischen Glamours verborgen hält.

Weitere Aufführungen: Ringlokschuppen Mülheim am 18. und 19. Mai 2012