Words Don’t Come Easy to Me
Die Geschichte spielt in einem Land, in dem kaum jemand spricht, weil in diesem Land die Wörter, die man benutzen möchte, gekauft und anschließend verschluckt werden müssen. So haben die Reichen gut reden, und die Armen halten den Mund oder radebrechen mit Lauten, und den wenigen Worten, die sie sich einmal haben leisten können. Manchmal fliegen Wörter wie Schmetterlinge in der Luft herum. Dann kann man sie fangen.
Paul, der kleine fünf- oder sechsjährige Junge, ist wahnsinnig verliebt in Marie, und er möchte ihr ein paar Wörter zum Geburtstag schenken. Und ihr sagen, dass er sie liebt. Aber er hat nur die drei Wörter, die er mit einem Netz aus der Luft aufgefangen hat: „Kirsche“, „Staub“ und „Stuhl“. Für Oskar aber, den etwas aufgeblasenen Sohn eines reichen Vaters, spielt Geld keine Rolle: Er kann Wörter kaufen ohne Ende. Und weil auch er die Marie mit ihrem roten Kleid gut leiden mag – vielleicht auch nur, weil er Paul ausstechen möchte – kauft er sich einen ganzen Heiratsantrag zusammen, den er Marie flüssig und in perfektem Deutsch zu ihrem Geburtstag präsentiert. Was für eine tragische Konstellation für den armen, netten Paul!
Viele Kinder in der besuchten Aufführung kannten das Bilderbuch von Agnès de Lestrade und Valeria Docampo bereits, nach dem Oliver und Tina El-Fayoumy vom theater fayoum und Maik Evers nun eine hübsche, poetische Theaterfassung für Kinder ab fünf Jahren gebastelt haben. In dem ruhigen Fluss der Aufführung werden die Kinder niemals durch zu hohes Tempo überfordert; Live-Musik vom Kontrabass sowie Sphärenmusik vom Band erzeugen die Illusion von geheimnisvollen Vorgängen, die die Kinder in den Bann schlagen. Die Kleinen folgen der Aufführung tatsächlich ganz leise und aufmerksam. Es dauert zwar lange, bis die Kern-Geschichte von Paul und Marie beginnt, aber die Kinder haben bereits riesigen Spaß, wenn die Schauspieler die einzelnen Worte, die im Land der großen Wörterfabrik schon im Umlauf sind, hervorstoßen: „Zuckertüte“, „Hasenpipi“, manch witziges Schimpfwort. In einfachen, phantasievollen Arrangements entstehen Marktstände und fliegende Händler, die Wörter im Angebot haben, Sommer-Wörter, Winter-Wörter, Kita-Wörter. – Ein Mann, vermutlich Oskars Vater, sondert philosophische Phrasen ab und kauft eine ganze politische Rede; besonders aufgeweckte Kinder mögen bereits die hochtrabende Art des Nichtssagens darin erkennen, die wir von Politikern und Talkshow-Gästen kennen. Im Hintergrund wird gehämmert und gedreht: Die Wörter werden produziert; und in einer abenteuerlichen, phantasievollen Konstruktion aus Rohren, Leitungen, einer Kaffeemaschine und einem Wasserkocher, einer Mischung aus Fabrik und chemischem Labor, werden diese zu Körnern verarbeitet.
Oskar, Marie und Paul werden durch winzig kleine Puppen dargestellt; wenn Oskar protzig auf Wörter-Einkaufstour geht, mutiert Tina El-Fayoumi zu einer kalten Hexe, die ihm ein Elixier mit Gedankenflüssigkeit mischt. Aber nix is mit „Geben Sie Gedankenfreiheit, Sire“: Der Angeber Oskar präsentiert seinen Heiratsantrag wie auswendig gelernt: formvollendet, aber emotionslos. Angesichts der unerreichbaren verbalen Vorlage kratzt sich der arme kleine Paul verlegen am Ohr. Ganz nah geht er an Marie heran; mit Schmalz in der Stimme haucht er ihr sein „Kirsche … Staub … Stuhl“ entgegen. Marie gibt ihm einen Kuss, denn ihr fehlen die Worte. Gefühl und Empathie sind viel wichtiger.
Der Applaus ist kurz: Kinder drücken ihre Zufriedenheit anders aus. „Wann gehen wir wieder ins Theater?“, kräht ein kleines Mädchen.