Gedankenschwerer Lebensrückblick
Es dürfte mehr Zufall als dramaturgische Planung gewesen sein, dass am Schauspiel Köln auf die Bühnenadaption von Fjodor Dostojewskis Idiot (Inszenierung: Karin Henkel) eine weitere Dramatisierung eines Prosawerkes folgt: Die Ringe des Saturn von W.G. Sebald. Möglicherweise eine Empfehlung der Regisseurin Katie Mitchell, welche nach ihrem Deutschland-Debüt mit Wunschkonzert von Franz Xaver Kroetz nun zum dritten Mal vor Ort arbeitet. Diesmal nicht im Hause am Offenbach-Platz, sondern in der Halle Kalk, einer seit langem bewährten Außenspielstätte auf der anderen Rheinseite.
Seine beiden Vornamen Winfried und Georg lehnte Sebald (1944-2001) ab, da er sie als nazistisch empfand. Bereits diese Verweigerung macht deutlich, dass den Autor etwas Zwanghaftes antreibt. Die militaristische „Karriere“ seines Vaters (zunächst Reichs-, dann Bundeswehr), welche in Die Ringe des Saturn gestreift scheint, lässt fast sogar Traumatisches vermuten.
Die Ringe des Saturn ist eine Erzählung aus dem Jahre 1995. Der Titel spielt auf das besondere kosmische Erscheinungsbild dieses Planeten an, auf seine Ringe nämlich, welche vermutlich Überbleibsel eines anderen sind, der bei einem zurückliegenden Zusammenprall zerstört wurde. In Bestehendem sieht Sebald immer auch die Gefahr der Zerstörung. Als Grenzgänger zwischen Realität und Traum fühlt er sich von Erosionen bedroht, spürt aber auch ihre positive Macht der „Auflösung“. Die Zeit des Nationalsozialismus mit seinem Judenhass hat den Autor besonders nachhaltig geprägt. Die in Ringe des Saturn geschilderte Wanderung durch die Grafschaft Suffolk (England wurde zur zweiten Heimat des Autors) ist eine assoziationsreiche, gedanklich weit schweifende, sprachlich mitunter abgründige Aufarbeitung von Vergangenheit, beflügelt vom „Sog der Geschichte“, den Sebald wohl bis zu seinem Lebensende nicht bewältigt haben dürfte. Der Untertitel des Romans – Eine englische Wallfahrt - verrät christliche Denkungsart. Bei dieser Wallfahrt ist das Ziel weniger wichtig als der Weg zu ihm mit all seinen kontemplativen Zwischenstationen und Abschweifungen. „In manieristischer Manier näht er Hunderte von Fetzen aneinander“ hieß es in einer Rezension des Romans.
Das wirkt in Katie Mitchells szenischer Einrichtung fort. Sie kompiliert nicht, wie es bei Der Idiot geschah, ein gesprochenes Drama, sondern verteilt den Text auf mehrere Darsteller und Darstellerinnen, die ihn in einem psychologisch nicht unbedingt stichhaltigen Wechsel von Blatt lesen, ansonsten ihren vielfältigen Aufgaben bei der Geräusch-Synchronisation nachkommen. Das nämlich ist die Handschrift der Regisseurin: jeder szenische Vorgang, sei er noch so peripher und sogar banal, wird auf der Bühne live hergestellt. Das erlebte man bei den bisherigen Arbeiten als reizvolle Akzentsetzung, zumal in Verbindung mit der damals noch berücksichtigten Spielrealität. Mittlerweile wirkt dieses Prinzip leicht abgegriffen, die große Spielfläche der Kalker Halle, von Lizzie Clachan voll ausgefüllt, drängt sich breit vor das thematische Anliegen. Es gibt schöne melancholische Sequenzen, viele assoziative Filmprojektionen in bewusst „historischer“ Qualität, die Rahmen“geschichte“ eines langsamen Todes. Aber diese Dokumentation zieht und zieht sich hin, der Text macht nach einer gewissen Zeit müde. Von Darstellern (Nikolaus Benda, Ruth Marie Kröger, Julia Wieninger, Renato Schuch, Juro Mikus) ist in engerem Sinne nicht zu sprechen. Es imponiert freilich der präzise bewältigte Ablauf all der minutiös angelegten Aktivitäten, die durch leichte Komprimierung aber sicher nicht an Wirkung verlieren würden.