Übrigens …

Wer hat Angst vor Virginia Woolf? im Moers, Schlosstheater

Thrilla in Manila – oder in Moers

Von einem „Laboratorium der Lust-Spiele“ spricht die Dramaturgin Sabrina Bohl im Programmheft mit Bezug auf Edward Albees Stück. In der winzigen Kapelle an der Rheinberger Straße, in die der Regisseur Philipp Preuss das grausame Kammerspiel gezwängt hat, sitzen wir halbhoch an den Wänden in einer einzigen Reihe und sehen die Szenerie unter uns tatsächlich wie in einem Laboratorium. Die Versuchskaninchen sind bereits erlegt, als wir auf unsere Plätze klettern: Auf dem Labortisch liegen Martha und George und sprechen ganz leise, ganz intensiv die Schlussszene aus Albees Drama. Vernichtet haben sie einander, zerstört ist ihre Lebenslüge, zu Ende das Spiel, mit dem sie einander gequält haben, das aber auch ihren lebenslangen Traum repräsentierte. Kann das Leben, kann die Ehe jetzt noch weitergehen?

Das Laborhafte von Philipp Preuss‘ Inszenierung betonen schon die Kostüme: George, der Historiker mit dem armseligen Career Track Record, tritt mit Toga und Lorbeerkranz im Haar auf, der biedere Biologe Nick im Ganzkörper-Gorillafell, das Etepetete-Weibchen Putzi (Honey im Original) als Nonne und Martha als elegante Südstaaten-Lady. Das Gäste-Paar, sonst häufig von den dominanten Kämpfernaturen George und Martha an die Wand gespielt, wird im Fight Club der Moerser Kapelle erheblich aufgewertet: Patrick Dollas gibt dem Biologen erheblich mehr Angriffslust als wir es aus vielen anderen Inszenierungen des Stückes kennen, und die sonst so nonnenhaft sich gebende Putzi dreht bei Katja Stockhausen von der ersten Szene an auf mit sexy sich überschlagender Stimme und sagenhaft perfekter Darstellung der überdrehten Besoffenen in Hochstimmung kurz vor dem Absturz in die Depression.

Wie das „Team“ dann die Vernichtungskämpfe gegeneinander führt – nun, man kann sagen: das kennen wir ja alles schon, wer hat nicht das viel gespielte Stück schon unzählige Male gesehen, und den Film mit Elizabeth Taylor und Richard Burton dazu? Aber selten haben wir die unerbittliche Schlacht der Eheleute untereinander und in wechselnden Koalitionen gegeneinander mit solcher Wucht und Härte und schauspielerischer Variabilität ausgefochten gesehen. Selten zuvor kam uns in den Sinn, dass die Spiele, die die vier Protagonisten einander aufzwingen, im Grunde Sado-Maso-Spiele sind – wenn auch nahezu ohne jeden Körperkontakt. Was Martha und George da treiben, ist Manila 1975: Muhammad Ali gegen Joe Frazier. Kampf auf Leben und Tod. Totaler Krieg. Mit allen Finten und Finessen, vor allem aber mit rücksichtsloser Brutalität. Und doch: In den Rundenpausen wird in Moers heruntergefahren, finden die Schauspieler zu fast zärtlichen Tönen – immer aber hat diese Zärtlichkeit und scheinbare Fürsorge etwas Lauerndes. Unendliche Power hat diese Aufführung, und ihr Rhythmus ist selbst dann gnadenlos, wenn er einmal ruhig und still wird – wollte man meckern, so könnte man anmerken, dass in der ersten langen Video-Sequenz, in der ein langes Männer-Gespräch aus dem Park vor der Kapelle und aus dem dort geparkten Regieassistenten-Audi übertragen wird, ein wenig der Spannungsbogen verloren geht.

Was wir erleben in Moers, ist nicht weniger als ein Schauspieler-Fest. Frank Wickermann, Marieke Kregel, Patrick Dollas und Katja Stockhausen geben bei aller Aufgedrehtheit ihren Figuren individuelle, psychologisch fundierte Charaktere. Kaputt sind sie alle, und wie das nach und nach aufgedeckt wird, ist ein Meisterwerk – von Albee, aber auch von Preuss und seinem Team. Bösartig sind sie auch, Martha und George mehr als die beiden anderen. Aber berührend ist es, wenn Marieke Kregels Martha, als sie sich unbeobachtet fühlt, die Videoprojektion des Gesichts ihres so verhassten Gatten streichelt. Kurz danach richtet sie wieder erbarmungslose, eiskalte Augen auf ihren Mann. Und wütet und schreit und flirtet und flüstert und sondert das Gift eines Skorpions ab, ohne Rücksicht auf Verluste. Die Entwicklung der am Schlosstheater Moers anfangs so blassen Marieke Kregel in ihrem zweiten Jahr nach Abschluss der Schauspielschule ist frappierend – und großartig mitzuerleben. Frank Wickermann, der beruflich gescheiterte, von seiner Frau gedemütigte George, bläht sich auf, brüllt, presst mit ungeheurer Kraft die von keinem gewollten Geschichten und Spiele in die Runde, parodiert perfekt Adolf Hitler und Marcel Reich-Ranicki – und fällt dann immer wieder resignierend in sich zusammen. Doch dieser Kraftprotz wird so schnell nicht aufgeben… - Katja Stockhausen hat die schwierigste Rolle, da ihre Putzi im Text recht naiv und eindimensional angelegt ist. Wie sie zu Beginn die Betrunkene spielt, wie ernüchtert sie später aus ihrem Rausch aufwacht, wie sie in Form einer Horrorfilm-Parodie zum Glockengeläut (wir sind in der Kapelle!) als eine Art schwarze Glöcknerin von Notre Dame durchs Fenster einsteigt -  das sind großartige schauspielerische Glanzstückchen.

So hat diesem doch schon so abgespielt erscheinenden Stückchen auch die Regie viele sinnfällige kleine Ideen hinzugefügt – bis hin zu dem sich so furchtbar zuspitzenden Schluss, als Martha, noch nichts von dem ultimativen Vernichtungsschlag ihres Gatten ahnend, die Geschichte des gemeinsamen Sohnes erzählt. Frank Wickermanns George steht währenddessen im ehemaligen Altarraum der Kapelle und spricht eine Liturgie. Wir wissen, warum. Und so endet der Abend mit der Eingangsszene. Kann das Leben, kann die Ehe jetzt noch weitergehen? – Ja, sagt Philipp Preuß. Faites vos jeux, meine Damen und Herren. Die Schlacht ist aus – es lebe der Krieg.