Liebesnot im Swimmingpool und mit Schlammschlacht
Eine strahlende Abendsonne tauchte den runden Stahlkoloss am Premierenabend in gleißendes Licht und wärmte wohlig die fast 500 Menschen, die sich im Innern des stillgelegten münsterschen Gasometers auf hellen Holzplatten über der isolierenden Wasserschicht drängten. Das frische Lüftchen war kaum zu spüren, als auf einem hohen Podium rechts die Handwerker mit rührend improvisiertem Instrumentarium wie Flaschen, Schere, Säge ein simples Musikstückchen einübten und danach gegenüber Athens Herzog Theseus alias Oberon (Klaus Nierhoff) und seine Amazonenkönigin Hippolyta alias Titania (Monika Hess-Zanger) über die Modalitäten ihres Ehevertrags stritten (wer kriegt Kobold Puck?). Teenie Hermia (mit zartem Stimmchen: Saskia Boden) und ihre Freundin Helena (hinreißende Brillenschlange: Sarah Zaharanski) lamentierten liebestoll und flüchteten samt Lovern Demetrius (Sven Heiß) und Lysander (Alexander Gier) in den Zauberwald.
Die Nacht brach schon herein, als die Zuschauer ihnen durch einen der weißen Stoff-Tunnel auf dem weiten Gelände zur Zuschauertribüne folgten. Ein wahrlich zauberhaftes Ambiente hat der Kroate Darko Petrovic entworfen: schmale Stege führen zu kleinen, Busch umstandenen Inseln aus Holzpaletten. Hinten leuchtet ein weiß verpackter Baum und wird wie die künstlichen Nebelschwaden ordentlich gezaust vom kalten Abendwind. Bunte Scheinwerfer lassen die kräuselnde Wasserfläche in verschiedenen Tönungen changieren, akzentuieren die hohen Wände. Ein plötzlich herabstürzender Wasserfall macht die Handwerker (köstliches Original ein jeder!) pitschnass. Titania aalt sich indes auf einer Liege neben dem Swimmingpool, in dem sie es später mit dem verwunschenen Zettel/Esel (Jürgen Lorenzen) heftig treiben wird. Die Wortgefechte der vier verwirrten jungen Liebenden arten in eine veritable Schlammschlacht aus. Erst landet Helena in der ekligen Pfütze. Dann balgen sich alle drin und schmeißen mit Dreck, sodass Oberon und Puck (die handfeste Sabrina von der Sielhorst) die Zuschauer durch eine Plastikplane schützen. Mit verschmierten Gesichtern und besudelten Hochzeitskleidern zelebrieren die Vier später an der Hochzeitstafel von Theseus und Hippolyta das Happy End, das die Handwerker mit ihrer Aufführung von Pyramus und Thisbe deftig würzen. Feuerwerkskaskaden steigen malerisch aus dem Wasser auf. Böller und Raketen steigen in den (leider) Mond- und (glücklicherweise) Regen-losen Nachthimmel.
Als „zeitgemäßes Volkstheater“ beschreibt der Entdecker des Gasometers als Spielort, WBT-Intendant und Regisseur Meinhard Zanger, seine Inszenierung. Schlegels deutsche Fassung der Shakespeare-Komödie durchsetzt er gekonnt mit köstlichen heutigen Floskeln („Zisch ab!“ „Willst du mich etwa vera….!?“) und Anspielungen (Puck drückt „wie der schnelle Vettel aufs Gas“).
Die eigens komponierte, aufgezeichnete, dezent durch die Jahrhunderte pendelnde Bühnenmusik von dem Österreicher Wolfgang Florey sowie romantische und fetzige Elfentänze in der Choreografie von Tomász Zwozniak unterstreichen die Theatralik und hohe Qualität des Theaterabends ohne Firlefanz oder Regietheater-Verbiegungen. Klang, Ton und Sprachverständlichkeit kamen optimal über. Die Organisation – bis hin zu Biergartenflair und –zelt, Regencapes und Decken – war nahezu perfekt. Für diesen Sommernachtstraum wurde jedenfalls kein einziger Cent des 500.000-Euro-Budgets, zu dem Land NRW, Stadt Münster, Landschaftsverband Westfalen-Lippe und private Sponsoren beitrugen, verschwendet.
Über die gigantische, hochprofessionelle künstlerische und physische Leistung des 16-köpfigen Ensembles des populären Kammertheaters kann man gar nicht genug staunen. Der Wagemut der mehr als einjährigen Vorbereitung neben dem laufenden Spielbetrieb wurde am Premierenabend vom Publikum mit frenetischem Applaus und minutenlangen stehenden Ovationen belohnt. Die 18.000 Tickets für die 40 geplanten Vorstellungen bis zum Juli – fast so viele wie das kleine Theater am Hafen in einer guten Saison insgesamt verkauft - sind restlos vergriffen. Bleibt zu hoffen, dass die Akteure sich nicht schon am Premierenabend erkältet haben – und dass die Stadt Münster ihr Industriedenkmal auch weiterhin für Kulturevents – gar zur Konzerthalle umgebaut??? – nutzt.