Übrigens …

Groß und Klein im Recklinghausen Ruhrfestspiele

Cate Blanchett begeisterte in Recklinghausen

Die Hollywood-Schauspielerin Cate Blanchett hat in der Titelrolle des Botho Strauß-Stücks Groß und Klein bei den Ruhrfestspielen das Publikum im restlos ausverkauften Festspielhaus begeistert. Rund zweieinhalb Stunden gab die Oscar-Preisträgerin mit ihrer eigenen Truppe von Schauspielern der Sydney Theatre Company die Lotte Kotte aus Remscheid-Lennep. Und von der ersten Minute auf der von Johannes Schütz karg und stark gestalteten Bühne überzeugte Blanchett als verzweifelt nach menschlichen Kontakten suchende Frau aus dem Stück, das 1978 in Berlin uraufgeführt wurde.

Es dauert in Recklinghausen keine Minute, da ist jeder im Saal von dieser Lotte Kotte gefesselt, von ihrer Mimik, ihrer Stimme, die mal kiekst, mal tief-donnernd grollt, mal kindlich, mal ängstlich und mal verwegen klingt. In den ersten zwanzig Minuten, in denen Blanchett als Touristin in einem Hotel in Marokko zwei imaginäre Männer belauscht und dabei deren Konversation wiedergibt, sagt sie zwanzig, dreißig Mal das Wort „amasing“. Jedes Mal spricht sie es anders aus und trifft damit sämtliche nur möglichen Übersetzungen. Mal ist es erstaunlich, mal verblüffend, mal irrsinnig, dann wieder außergewöhnlich oder hervorragend.

Dieses einzige Wort „amasing“ könnte für den großartigen Theaterabend in englischer Sprache stehen und ebenso für die grandiose Leistung dieser Darstellerin, die bei den traditionellen Ruhrfestspielen zeigte, was große schauspielerische Leistung ist. Immer wieder gab's Zwischenapplaus und am Ende von Lotte Kotte's Irrfahrt durch die Höhen und Tiefen der fragwürdigen Wohlstandsgesellschaft der späten 70er Jahre in der Bundesrepublik will die Begeisterung des Publikums schier kein Ende nehmen und es gibt verdiente Standing Ovations im Festspielhaus.

Doch zuvor erleben wir die Mimin, die als Feen-Herrscherin Galadriel in Der Herr der Ringe ebenso faszinierte, wie in den beiden Elisabeth-Filmen in den unterschiedlichsten Versuchen der Kontaktaufnahme mit Bekannten oder Fremden auf der Bühne. Wie sie immer und immer wieder von ihrem Mann Paul schwärmt, der sich von ihr scheiden lassen will, wie sie ihm verzweifelt in einer trostlosen Telefonzelle ohne überhaupt einen Anschluss zu bekommen, einen Brief erzählt, das geht schon nahe.

Auch der Besuch bei ihrem Bruder endet ohne jedwede Nähe zu ihm oder seiner Familie. Der Versuch der Kontaktaufnahme zu einer ehemaligen Schulfreundin in Essen ist der Wahnsinn. An der Tür eines Mehrfamilienhauses neben einer geöffneten Mülltonne drückt Lotte nacheinander sämtliche Klingeln an der Haustüre. Ablehnung, Lüsternheit, Misstrauen, Angst schlagen ihr da aus der Gegensprechanlage entgegen. Und die frühere Freundin entpuppt sich - als uninteressiertes, abgestumpftes Wesen.

Und immer weiter irrlichtert Blanchett als Lotte durch die Zeit. Sie ist - so schrieb der in Sydney erscheinende „Morning Herald“ nach der Premiere in Australien – „the holy fool“, der „heilige Narr“, in dem sich die wohlsituierten und seltsam heimatlosen Figuren zu spiegeln scheinen. Genial, wie sie in der Wohn- und Zweckgemeinschaft der unterschiedlichsten Mitbewohner einsam unter Einsamen bleibt.

Und wie sie ganz am Ende des Stücks in einer Reihe mit fünf anderen schweigsamen Menschen vermutlich in der Praxis eines Psychotherapeuten sitzt und wartet, tut schon fast weh. Als der Arzt sie als letzte im Wartezimmer anspricht, antwortet sie nur, mit ihr sei alles in Ordnung. Sie sei „nur einfach da.“ Minutenlanger heftigster Applaus und - wie gesagt - Standing Ovations für Cate Blanchett und dreizehn weitere Schauspieler. Amasing. Blanchett nahm den Jubel der Zuschauer sichtlich begeistert auf.