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Dschingis Khan: Eine Völkerschau im Düsseldorf, Forum Freies Theater

Dschingis Khan: Eine Völkerschau

Nein, auf die Idee, mit Mongos zu arbeiten, sei nicht er gekommen, sondern die Ina (seine Kollegin Ina Vera also), sagt der körperbehinderte Monster Trucker Manuel Gerst irgendwann während der Aufführung. Von Mongoloiden spricht noch mancher von uns; politisch korrekt ist schon das nicht: „Menschen mit Down-Syndrom“ heißt das heute. Bei dem Ausdruck „Mongos“ erschrecken wir, als hätte jemand von Negern oder Bimbos gesprochen, der unsere Mitmenschen afrikanischer Abstammung meint. Die Performance-Künstler und Bild-Erfinder von Monster Truck haben sich gefragt, warum der englische Neurologe John Langdon-Down im Jahre 1866 das nach ihm benannte Down-Syndrom „Mongolismus“ genannt hat. Flugs griffen sie sich drei von dieser Genom-Mutation betroffene Schauspieler des Berliner Behindertentheaters „Theater Thikwa“, die alle bereits über umfangreiche Schauspiel-Erfahrung und teilweise sogar Film-Erfahrung verfügen, und gingen der Frage auf ironische Weise nach. Die Premiere fand erstmals im Forum Freies Theater Düsseldorf statt, mit dem Monster Truck bereits seit vielen Jahren kooperiert.

Im Grunde ist die Frage, warum Langdon-Down auf die Bezeichnung Mongolismus verfallen ist, bereits zu Beginn der zweiten Szene der Aufführung geklärt. Da krabbeln Sabrina Braemer, Jonny Chambilla und Oliver Rincke aus ihrem Versteck unter den Holzbohlen, setzen sich tiefschwarze Zottel-Perücken und zentralasiatische Hüte auf – und schon sehen sie aus, wie Lieschen Müller sich die hinterwäldlerischen Mongolen beim Schafehüten vor der Jurte vorstellt. Vielleicht, so heißt es auf dem Programmzettel, habe sich der Mediziner ja bei der Erfindung der Bezeichnung von den seinerzeit vielfach stattfindenden „Völkerschauen“ beeinflussen lassen, bei denen Menschen aus fremden Kulturen wie Tiere im Zirkus ausgestellt und vorgeführt wurden. Eine solche Völkerschau bekommen wir nun zu sehen.

In einem Kunst-Mongolisch, das per Video-Übertitelung übersetzt wird, erläutert Sabrina Braemer die Geschichte der Mongolen mit Dschingis Khan als mächtigstem, in der halben Welt gefürchtetem Herrscher und Eroberer. „Für das christliche Abendland waren die Mongolen die Strafe Gottes, die Vorboten der Hölle.“ Dazu pfeift der steife Wind der Steppe; dumpf und düster stieren die Mongol(oid)en. Angekettet laufen sie im Kreis, scheinbar unter Schmerzen (Achtung, inkorrekte Völkerschau!), in den „Gefechtsübungen der ausgewählten Krieger“ schießen sie einen Totenkopf vom Schädel wie Tell den Apfel vom Sohne Walter, Nationaltänze performt man zur scheinbar auf Umzugskarton, Schultüte und Wäschereck produzierten Musik, und unter der Überschrift „Das grausame Schicksal der besiegten Feinde“ werden Melonenköpfe auf dem Bühnenboden zerschmettert und ihr Inhalt aufgeschleckt – noch Minuten später steigt uns der verführerische Duft des Melonenbluts in die Nase. Von fern wehen Klänge einer Mongolen-Version von „High Noon“ herüber.

Das Ganze erscheint ein wenig fragwürdig, denn wir werden das unangenehme Gefühl nicht los, als würden auch hier die Behinderten letztlich ausgestellt. Das bildmächtige Theater früherer Monster Truck Performances kann sich ohnehin nicht entfalten, denn darin zu spielen und sich zu bewegen würde die Kranken wohl überfordern. Die bedürfen offenbar zunächst der permanenten Anleitung einer „Regisseurin“, die ihnen vorgibt, was zu tun ist. Spätestens als die Trinkgewohnheiten der Mongolen thematisiert werden, gewinnt man den Eindruck, dass die drei Schauspieler an ihrer Performance Spaß zu haben beginnen; endlich spielen sie auch miteinander, bedenken einander mit Blicken und Gesten und einem breiten Grinsen. Sabrina Braemer singt ein Klagelied, schief und schräg, aber durchaus poetisch, und Jonny Chambilla begleitet sie mit einem Streichinstrument: Stock auf Besenstiel. Sie interagiert nun auch mit dem Publikum, steigt über die Sitzreihen, nebelt es ein mit einer phantasievollen Nebelmaschine – und spielt so mit den Berührungsängsten der „Normalos“ mit den „Mongos“. Längst hat sich die „Regisseurin“, haben sich die Monster Trucker zurückgezogen, und die Behinderten zeigen, dass sie zumindest für begrenzte Zeit auch ohne Anleitung spielen können. Bilder entstehen nun, die ganz von fern an frühere Monster Truck Aufführungen erinnern: Der seltsame Kampfwagen mit Stierschädel an der Front und zugespitzten Pfählen, die sowohl Kriegsgerät als auch Raketenabschussrampe wie seinerzeit bei Live Tonight sein könnten, das Katapult, von dem Oliver Rincke Totenschädel in die Zuschauermenge schießt.

Dennoch: Was machen wir damit? Die gute Absicht der Monster Trucker wird in manchen Szenen deutlich, aber das schale Gefühl bleibt zurück, dass die „Völkerschau“ sich nicht ausreichend von ihren historischen „Vorbildern“ abhebt. Großes Theater ist es auch nicht – zwangsläufig nicht, denn die Arbeit mit den Behinderten erfordert Rücksichtnahme im Hinblick auf Tempo, Rhythmus und physische Herausforderungen. Dass die Betroffenen unter Berücksichtigung ihrer Handicaps herausragende Leistungen bringen, steht völlig außer Zweifel. Ein Beitrag zu der gerade in Nordrhein-Westfalen im Bereich der Pädagogik heiß diskutierten Thematik der Inklusion ist der Abend nur in sehr eingeschränktem Maße. Was also machen wir damit? – Manuel Gerst hängt zum Schluss des Abends ein neues Schild über der Bühne auf, das „The Mongolian Show“ durch „The Cannibal Show“ ersetzt. Afrikanische Rhythmen erklingen, und unsere drei Schauspiel-Stars kommen noch einmal auf die Bühne: in Baströckchen. Als Nächstes ‘ne Negerschau? Ich weiß nicht recht…

(Weitere Aufführungen in NRW: Ringlokschuppen Mülheim 1./2. März 2013 sowie später im Theater im Pumpenhaus Münster; außerdem sophiensæle Berlin 22. – 25. November 2012)