Die Milchkuh im Backenzahn
Wer ist eigentlich PeterLicht? Mal ganz abgesehen davon, dass es keine Fotos gibt, auf denen er sein Gesicht zeigt, er früher bei Konzerten hinter einer Wäscheleine mit ihn verbergenden großen Betttüchern aufgetreten sein soll oder er sich im Vorfeld von „Wunder des Alltags“ neben dem Regisseur Peter Kastenmüller auf einer Leiter stehend ablichten ließ, so dass von seinem Astralkörper nur Beine und Rumpf zu sehen waren: Wer ist PeterLicht?
PeterLicht ist alles: Pop-Künstler und Pop-Verweigerer, Sänger, Buchautor und Theaterschaffender, Kurator von Festivals und Gesellschaftskritiker. Geld, Zukunftsangst, Kapitalismus und Wettbewerb sind nur einige seiner Themen; sein Album „Lieder vom Ende des Kapitalismus“ ist eines seiner erfolgreichsten – zumindest im Theater, in dem immer mal wieder einzelne Songzeilen daraus als Theatermusik auftauchen. In einem Interview mit ZEIT ONLINE beschreibt er einen (seinen!) Bankbesuch zum Zwecke der Beratung in Sachen Altersvorsorge: „Dann … betrete (ich) ein Reich, das Franz Kafka nicht besser hätte schaffen können. Es ist ein großes Humortheater. Es ist völlig offen, ob mich jemand verarscht und nur mein Geld abziehen will, oder ob diese ganzen pragmatischen Erwägungen einen Sinn ergeben.“ Diese Aussage beschreibt ziemlich exakt das Gefühl, das sich beim Hören seiner Lieder einstellt: Es ist völlig offen, ob PeterLichts Kapitalismuskritik ernst gemeint ist oder ob er uns gerade verarscht und ob seine Texte einen Sinn ergeben. Aber setzen Sie sich mal in eines seiner Konzerte und singen Sie mit ihm eine Viertelstunde lang immer denselben Satz: „Wir sind jung und wir machen uns Sorgen über unsere Chancen auf dem Arbeitsmarkt“. Fünfzehn Minuten lang, immer dasselbe. Dann wissen Sie’s: Er lacht uns aus, er lacht unsere Angst weg, und wir lachen uns schlapp.
Wenn man sich das Universum des PeterLicht anschaut, dann ist es nur auf den ersten Blick überraschend, dass er jetzt auch Kindertheater macht. Für das Junge Düsseldorfer Schauspielhaus hat er „Welterklärungsmodelle“ geschrieben, Texte für Zuschauer ab sechs Jahren, in denen sechs verschiedene Figuren jeweils ihr eigenes „Wunder des Alltags“ definieren und erläutern. Als da sind: Lutscheis, Arbeit, Konto und Kontoautomat, das „Internetz“, Liebe und Gott. Zwischengeschaltet an geeigneter Stelle: Reißverschluss und Krise. Das ganze PeterLicht-Universum also, und wenn man meint, in der Reihenfolge dieser Wunder eine Steigerung der tieferen Bedeutung der Kapitel erkennen zu können, so mag das für die Begrifflichkeiten gelten, aber nicht für ihre Bedeutung oder Darstellung innerhalb der Inszenierung. Der eigentliche Steigerungs- oder Beschleunigungsfaktor findet sich innerhalb der einzelnen Wunder-Texte selber: Die beginnen mit überraschend treffenden, skurril-kindgerechten Beschreibungen („Arbeit ist, wenn man wohin geht, wo man dann nicht mehr zu Hause ist und keine Zeit mehr hat für etwas anderes“), finden dann atemberaubende Parallelen: „Viele Leute tragen bei der Arbeit Schutzhelme. Oder andere Arten von Schutzkleidung. Eine gern benutzte Schutzkleidung heißt Krawatte“ (wir Erwachsenen, zumal Ex-Büro-Hengste wie der Schreiber dieser Zeilen, fühlen uns ertappt und wissen, was gemeint ist) und enden dann in PeterLichts Absurdistan, in dem die für den Autor so typischen skurrilen, surrealen Überlegungen angestellt werden.
Insbesondere bei Themen wie Arbeit, Geld oder Krise sind wir bei klassischen PeterLicht-Sujets. Wenn die Reaktion der Menschen auf das Wort „Krise“ parodiert wird, ist die Message ähnlich wie beim 15minütigen Arbeitsmarktchancen-Song: Lichtschalter aus, und die Krise ist erstmal weg. Habt doch nicht so viel Angst!
Ob das auch die Kinder verstehen? Die Texte sind durchweg von wunderbar versponnener Phantasie, doch nicht ausgeschlossen ist, dass die kleinen Kinder dieser Versponnenheit nicht folgen können. Zumal die szenische Phantasie der Regie und der Schauspieler ein wenig dürftig ist. Mehr Schwung, mehr Musik (verantwortlich für die enttäuschend sparsam eingesetzten Lieder ebenfalls PeterLicht), mehr kindgerechte Interaktion würde der Aufführung gut tun. Grandios dagegen und ein Augenschmaus für Kinder und Eltern sind die Kostüme Michael Graessner; liebevoll gelungen ist die Figurenerfindung. Da gibt es den Clown, die Wanderwarze (die zur Flitzwarze wird, wenn derjenige, der mit der Wanderwarze befallen ist, selbst auf Wanderschaft geht), den schwer beweglichen Transformer mit Geldautomatenfunktion und Roller-Rädern und Staubsaugerrohren, den Ritter und die Spinne und den Zahn. Insbesondere Marian Kindermann als wunderbarer weißer Milchzahn (in jedem Milchzahn sitzt ‘ne Milchkuh, die die Milch in den Bauch im Mensch schmeißt), und Stefanie Roesner als elegante Lila-Laune-Spinne können bezaubern. Doch so richtig wird der kritische Zuschauer nicht glücklich, bleibt doch der Eindruck, dass das Team das Potential des Textes nicht ausgeschöpft und insbesondere seine absurden Facetten nicht ausreichend deutlich gemacht hat. Also fahren wir heim – und fangen an der nächsten Baustelle an zu lachen: Da fällt uns wieder der Transformer ein, der mit dem Bagger im fließenden Verkehr Einparken üben und dabei im Führerhäuschen Zitronenrollen mampfen will. Seitenlang müsste man das Stück zitieren!