Lessing leicht, aber nicht leichtgewichtig
Wenn man die katastrophale politische Situation in Syrien reflektiert, sich die Dauerfeinschaft Israel/Palästina vor Augen führt und weitere Kriegsherde der Gegenwart bilanziert, mag man geneigt sein zu fordern, Lessings Nathan der Weise müsse ein Pflichtstück für Theater sein. Und in der Tat behauptet sich das dramatische Gedicht Lessings unter den Klassikern hartnäckig, denn seine moralischen „Predigten“ über Liebe und Toleranz hat die Welt offenkundig bitter nötig. Die häufige Zwangslektüre in vergangenen Schuljahren wirft offensichtlich keinen Schatten auf das aktuelle Theaterleben.
Der berühmteste Nathan-Darsteller der Nachkriegszeit war Ernst Deutsch. Ohne das Charisma dieses Schauspielers beschneiden zu wollen: mit seinem Kanzelei-Ton wäre Lessing heute nicht mehr zu vermitteln, mögen sich ältere Theaterfreunde (wie der Autor dieser Zeilen) an der wortprägnanten Rhetorik vergangener Generationen grundsätzlich noch zu delektieren, wie sie beispielsweise auch die vor kurzem verstorbene Maria Becker beherrschte. Doch grundsätzlich trifft zu, was die Regisseurin Catharina Fillers für ihre Inszenierung am Kölner Bauturm-Theater konstatiert: „So sehr Lessings Sehnsucht nach Vernunft unserer Friedenssehnsucht entspricht, so wenig aktuell ist sein Theatermodell.“
Ihre Arbeit orientiert sich zum einen an den begrenzten Räumlichkeiten des Hauses, auch an der Notwendigkeit, mit einem möglichst kleinen Ensemble auszukommen. Aber jenseits solch pragmatischer Aspekte gelten auch interpretatorische Überzeugungen. Catharina Fillers arbeitet gerne für junges Publikum, war beispielsweise längere Zeit an Kölns „Comedia“ für Kinder- und Jugendtheater verantwortlich. So setzt sie sich jetzt auch mit Lessing nicht trocken akademisch, sondern theatralisch vergnüglich auseinander. Dass sie altertümliche Formulierungen des Textes (z.B. „kömmt“ statt „kommt“) beibehält und mit moderner Alltagssprache mischt, bietet lockernde ironische Akzente. In den entscheidenden Szenen jedoch bleibt der originale Lessing unangetastet. Der moralischen Quintessenz des Dramas bleibt die Regisseurin ohnehin stets auf der Spur. So behält etwa Nathans Bekenntnis „Und doch ist Gott“ seine ganze schicksalhafte Schwere. Eine wunderbar bewältigte Gratwanderung der Inszenierung.
Die vier Darsteller (mit großer Ausstrahlung Charles Ripley, Lara Pietjou, Evelyn Tzortzakis, Makke Schneider) schlüpfen in verschiedene Rollen und treten aus diesen immer wieder auch heraus. Ostentatives Spiel ins Publikum hinein führt gleichfalls zu reizvollen theatralischen Brechungen. Das Verfahren ähnelt jenem von Der Verschollene im „Keller-Theater“ (Rezension hier), nur dass sich dort die Mittel verselbstständigen und dabei den Autor aus den Augen verlieren.
Die Nathan-Ausstattung Cordula Körbers befördert die Leichtigkeit der Inszenierung. Der Boden ist mit goldenen Staniolschnipseln bedeckt: ein sehr dekorativer Einfall, aber auch von symbolischer Kraft, wenn beispielsweise Blätter in die Ring-Parabel einbezogen werden. In mittiger Höhe befinden sich auf den Brandmauern Papierbespannungen, auf denen die komplizierte Familiengeschichte des Stücks in lockerer Weise wie mit Kinderhand aufgezeichnet wird. Herunter gerissen geben sie zum Finale Lessings Szenenanweisung zum „Happy-End“ frei: „Unter allgemeiner Rührung fällt der Vorhang“. Eine wahrhaft clevere Schlusspointe. Diese Inszenierung dürfte die Chancen beim Kölner Theaterpreis haben.