Die Sinfonie der Motoren
Im Foyer des Kölner interdisziplinären Kunstprojekts „raum13 Deutzer Zentralwerk der Schönen Künste“, dem früheren Empfangsraum des Verwaltungstraktes von Klöckner Humboldt Deutz, standen Neugierige jeglichen Alters, staunten über begrünte Erdflecken auf alten Palettenstapeln, Relikte vom Fußboden der riesigen ehemaligen Werkshallen, Geburtsstätte der Motorisierung der Welt. Man wartete auf den Beginn der Uraufführung Die Schönheit der Vergänglichkeit, den ersten Teil einer Trilogie, welche den gesellschaftlichen und strukturellen Wandel von den Nachkriegsjahren bis heute anhand der Kölner Firma KHD „Klöckner Humboldt Deutz“ zum Thema hat, wo noch Zeitzeugen, Material und Gebäude vorhanden sind.
Anja Kolacek und Marc Leßle, frühere Mitarbeiter des Kölner Schauspiels, nutzen einen Teil der leer stehenden Industriebrache, um hier jungem Theater Raum und Bühne geben zu können. Ein sehr löbliches, aber auch kühnes Unterfangen in der finanzgeplagten Stadt Köln.
Leitfigur zum gut anderthalbstündigen Gang durch das weitläufige Gebäude – treppauf, treppab, ein wenig mühsam für Fußkranke – ist ein Mann im kleinkarierten Anzug aus den 50er Jahren mit einem ebenso alten Moped, der die Gruppe in den Vorraum der Produktionshallen führte, mit allerlei Werkzeug, Stechuhr, alten Karteikästen, Spinden und einem schwarzen Brett. Es riecht intensiv nach alter Arbeitswelt. Dazu eine laute Motorenhymne, welche dann später in eine monotone Wiederholung der ersten Artikel des Grundgesetzes über Freiheit, Gleichheit und die Würde des Menschen übergeht. Der Kontrast dazu dann in einer lang gezogenen früheren Montagehalle: ein junger Mann, der sich in einem Haufen von alten Gummischläuchen – offensichtlich nach getaner Arbeit – erschöpft wäscht und auszieht. Allerlei Müll liegt herum, alte Akten in großen Containern, vergammeltes Gerät. Der Schauspieler Florian Lenz, bereits mehrfach in Raum 13 aufgetreten, ist der Geist des Hause, in einer Arbeiterrolle, als Erzähler, als Führer durch die Geschichte, als Spekulant, als Mahnender. In seinem ersten großen Monolog sinniert er darüber, ob Freiheit und Brüderlichkeit wirklich zusammenpassen. Ist der Mann eine Lichtgestalt des Ausgleichs von Menschlichkeit und Arbeitswelt?
Durch die alte Schmiede schlendert die Gruppe dann in den Innenhof; hier knattern und stinken zwei aus den 40-ern stammende Oldtimer-Motoren um die Wette gegen ein modernes Exemplar, bedient von KHD-Pensionären im blauen Zeug, die bereitwillig über ihre frühere Arbeit Auskunft geben. Industriegeschichte zum Hören und Anfassen, steht doch bei KHD die Wiege der weltweiten Motorisierung.
Im Hintergrund schaukeln drei Knaben, die ebenfalls die Gruppe begleiteten, mit Luftballons in den Deutschlandfarben, Symbol der vielleicht hoffnungsvollen Jugend, ebenfalls später in eine stabile Arbeitswelt eingebettet zu werden.
Von der berichtet dann Lenz, diesmal im Anzug und in einer 50er-Jahre-Küche mit Kerze auf dem Tisch, in dem er früheren KHD-Mitarbeitern Körper und Sprache leiht und sie erzählen lässt von ihrer Geschichte und Arbeit, vom harmonischen Miteinander, vom Eingebettetsein in die Deutz-Familie, in eine stabile und menschenwürdige Arbeitswelt, wo der Chef sich persönlich um die Arbeit und das Wohl seiner Leute kümmerte. Welcher Kontrast zu heute! Großartig, wie der Schauspieler blitzschnell Klang, Mimik, Ausstrahlung und Körperhaltung wechselt – sogar das Kölsche ist ihm vertraut.
Über ewige Treppenhäuser und Flure geht es dann in die ehemalige Vorstandsetage, hier die Räume noch mit hochwertigen Einbauschränken, ein Büro mit alter Schreibmaschine und riesigen Mengen zurückgelassener vergammelter Akten und Papiere; damals war noch nix mit Datenschutz. Man schlendert locker an allerlei grafisch schicken Video-Installationen vorbei, sieht alte Filme und Fotos aus der Nachkriegszeit, unseren Akteur auf großformatigen Fotos in Köln, und Szenen unserer neuen elektronischen und vergnügungssüchtigen Welt. Ob sie besser ist als damals? Die Frage, wo wir heute gelandet sind, bleibt offen. Eindrucksvoll eine Krankentrage mit massenhaft elektrischen Kabeln, die sich aus der Decke winden. Wiederbelebungsversuch oder Lebenserhaltung der früheren Arbeitswelt, die im Wachkoma liegt?
Nach Texten in einer großen lichten Halle mit einem großen, an den Gral erinnernden Gefäß in der Mitte, geht es dann zum Ausgangspunkt, mit Blick in eine riesige leere Werkshalle, wo der Akteur sich ausgiebig badet. Hat er den Schmutz der alten Zeit abgewaschen, oder die Erinnerung, oder die Zeichen der Vergänglichkeit? Ist er jetzt ein moderner neuer Mensch geworden?
Neben den Deutz-Motoren als Hauptdarstellern ist die Szene in der Küche der Kern des Abends. Man kann sie als eine Anklage gegen die heutige unsichere Arbeitswelt sehen, als Kontrast zur „guten alten Zeit“. Aber man muss natürlich auch bedenken, dass man schnell vergisst, was früher negativ war.
Die Schönheit der Vergänglichkeit ist ein Wunschtraum oder auch nur ein Traum. Der Titel beinhaltet einen inneren Kontrast, Vergänglichkeit bedeutet auch Verfall, Zerstörung, Hässlichkeit, Fäulnis. Man kann die Vergänglichkeit beklagen, und vielleicht auch schönreden, aber halt nicht aufhalten. Wie wäre es denn mit „Vergänglichkeit der Schönheit?“
Der sehr vielseitige Abend brachte eine Unmenge von Details, Musik, Bildern, Videos, Texten und Aktionen, die man schwer alle behalten, geschweige denn deuten kann. Viel – zwangsläufig stehender – Applaus für die eindrucksvolle schauspielerische Leistung von Florian Lenz, für die beiden Autoren und das ganze Team.
Im Innenhof gab es dann interessante Diskussionen, Kölsch, Rotwein und Suppe für alle; ein prima Ausklang eines für längere Zeit nachdenklich machenden Theaterabends.