Übrigens …

Der Prozess im Bochum, Schauspielhaus

Der aussichtslose Kampf des Josef K.

„Jemand muss Josef K. verleumdet haben, denn ohne dass er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens verhaftet“ Mit diesen Worten beginnt Franz Kafkas Roman Der Prozess. Und zunächst scheint seine Verhaftung auch nur ein Irrtum zu sein. K., Prokurist in einer Bank, darf weiter seiner Arbeit nachgehen und sich auch sonst frei bewegen. Er glaubt an seine Unschuld, an Gerechtigkeit und somit auch an Gerichte und Gesetze. Und er macht sich auf die Suche nach einem Gericht, vor dem er sich verteidigen kann, nach einer Aufklärung darüber, was man ihm eigentlich vorwirft. Aber jeder Versuch, den Josef K. zu seiner Befreiung unternimmt, konfrontiert ihn mit einem undurchschaubaren System, dessen Gesetze Willkür und Zufall unterliegen. Er kämpft, zunächst Ruhe bewahrend, beharrlich gegen die Windmühlen der Justiz, verkörpert durch eine namenlose Bürokratie. Der Advokat, den er auf den Rat eines Onkels (Bernd Rademacher) hin nimmt, kann auch nichts erreichen. Im Gegenteil. Erklärt K. sogar, dass die Anklage im Allgemeinen auch vor dem Angeklagten geheim sein soll und dass eine Verteidigung nicht erlaubt sei. Die surreale Handlung vermittelt permanent eine ungreifbare Bedrohung. Gerichtsdiener, Staatsanwaltschaft und andere Diener des Gesetzes geben K. ein Gefühl des Ausgeliefertseins und der Unabänderlichkeit seines Schicksals.  Seine verzweifelten Bemühungen, den Dingen auf den Grund zu gehen, erzeugen nur Irritationen und Unsicherheit. Das Gericht erscheint ihm wie eine Festung, der er sich trotz wiederholter Versuche nicht nähern kann.

In Bochum wurde eine Theaterfassung von Kafkas Roman auf die Bühne gebracht. Verfasst von dem tunesischen Filmemacher und Theaterregisseur Fadhel Jaibi und seiner Frau Jalila Baccar. Jaibi, der vor zwei Jahren bereits „Medea“ in Bochum inszenierte, wurde nicht zuletzt für die Regie verpflichtet, weil er aus einem Lande kommt, in dem Repressionen und Zensur lange Zeit zum Alltag gehörten.

Glänzend konzipiert ist das Bühnenbild (Kaïs Rostom). Ein grauer schmuckloser Kasten bietet viele Zu-und Abgangsmöglichkeiten. Flexible Schieber eröffnen ständig neue Perspektiven. Im rechten Moment aber sind die Fluchtmöglichkeiten für Josef K. immer verschlossen - ein plastisches Bild für seine ausweglose Lage.

Dass immer wieder Krankenbetten hinein- und hinausgerollt werden, schon zu Beginn wird so ein Bett wiederholt durch den Raum gestoßen, lässt nur den Schluss zu, es handelt sich um eine Art Klinik. Josef K. (Marco Massafra gibt ihn stoisch gefasst) wird nicht verhaftet, sondern auf einer Liege fixiert und der „waterboarding“-Folter unterzogen. „Dieses Experiment ist ein extrem gefährliches Experiment“, so der Kommentar der Wächterin. Klassische Musik übertönt die Schreie des Gequälten. Sicherlich ein starkes Bild für die Torturen, denen Josef K. im übertragenen Sinne ausgesetzt ist. Ansonsten rennen die Akteure viel hin und her, mal als Wärter mit schwarzen Strumpfmasken, mal als aufgedrehte Bankmitarbeiter mit bunten Hütchen, die K. ein Geburtstagsständchen bringen und dann Polonaise tanzen. Unklar, warum die Personen manchmal Sauerstoffmasken tragen, dann wieder nicht. Unnötig sind Gags wie der Erzherzog-Johann-Jodler, den Anke Zillich zum Besten gibt. Matthias Redlhammer spielt den Untersuchungsrichter, der an einem Ende eines langen Tisches gemütlich speist, während Josef K. am anderen Ende – noch selbstbewusst – „die öffentliche Besprechung eines öffentlichen Missstandes“ fordert. Eine eindringliche Darstellung des Missverständnisses, das K. von Anfang an begleitet. Überzogen dagegen die Auftritte des beleibten Advokaten (auch Redlhammer), der aus dem Bett wankt und mit dem Infusionsständer polternd durch die Gegend stolpert. Merkwürdig und nicht überzeugend Ronny Miersch als Maler Titorelli (mit Hannibal-Lector-Maske), der junge Frauen reihenweise abschlachtet.

Manche Szene, in der die Schauspieler kreischend durcheinanderlaufen, singen (u.a. „Oh Haupt voll Blut und Wunden“) und unter den Betten herkrabbeln, ist dem eigentlichen Thema schwer bzw. kaum zuzuordnen. Man bleibt – trotz einiger Glanzpunkte – etwas ratlos zurück. Und schaut dem mutlosen Josef K. zu, der sich, bereit zu einem weiteren Foltergang, aufs Bett legt und sich selbst fixiert. „Sind Sie bereit?“, wird er gefragt. „Ist man jemals bereit?“, so K., der aufhört, zu fragen und sich so selber zensiert. Das ist wieder Kafka pur. Zu akzeptieren, was mit einem gemacht wird.