Der zerbrochne Krug im Schauspielhaus Düsseldorf

Auf der Suche nach der Wahrheit

Pflichtvergessene Juristen sind sie beide: der Dorfrichter Adam, für den das Richterhandwerk weniger durch Bemühen um Recht und Gerechtigkeit als vielmehr durch Willkür und Beliebigkeit gekennzeichnet ist. Ein gerissener und phantasiereicher Betrüger, der trickreich versucht, Lücken im Gesetz für sich auszunützen. Für Gerichtsrat Walter sind die „Ehre des Gerichts“, die Macht und die Autorität der Rechtspflege wesentlich wichtiger als Recht und Gerechtigkeit selber.
Der zerbrochne Krug, 1808 durch Goethe uraufgeführt, lässt die Zuschauer Zeugen einer Wahrheitsfindung werden, deren komische Seite in der sprachlich virtuosen Enthüllung besteht.
Der Regisseur und Bühnenbildner Dušan David Parizek, 1971 im tschechischen Brno geboren, ist Begründer des international renommierten Prager Kammertheaters. Er inszeniert regelmäßig an großen deutschsprachigen Häusern, so in Hamburg, München und Zürich. Der zerbrochne Krug ist seine erste Arbeit am Düsseldorfer Schauspielhaus.Er bringt Kleists Lustspiel in einer modernen Version auf die Bühne des großen Hauses, nur gut 90 Minuten lang, eine höchst vergnügliche und intelligente Inszenierung, in der jede Rolle exzellent besetzt ist.
Ein Baugerüst steht auf der Bühne – keine verstaubte Amtsstube voller Akten, wie man es von anderen Inszenierungen des Krugs kennt. Ab und an rieselt Kalk von oben herab. Der Schreiber Licht erscheint mit einem Schutzhelm und sperrt den hinteren Bereich der Spielfläche mit einem rot-weißen Band ab. So agieren die Schauspieler vorwiegend an der Rampe, der Zuschauerraum bzw. das Publikum werden mit einbezogen. Frank Seppeler ist ein relativ junger, agiler Adam. Zu Beginn tappt er, vom Schlaf erwacht und noch benommen von den Abenteuern der Nacht, nackt herum. Dann aber fängt er sich schnell und gibt überzeugend das durchaus charmante Schlitzohr, das mit Finessen versucht, seinen Fehltritt zu vertuschen. Rainer Galke spielt glaubwürdig den Schreiber Licht, der die Aufklärung des Falles keineswegs zur Stärkung der Autorität des örtlichen Gerichtes anstrebt, sondern allein im Interesse seiner eigenen Karriere – will er doch selber Richter werden. Gerichtsrat Walter wird von Florian Jahr als Strebertyp im Anzug mit Nadelstreifen und mit Nickelbrille gegeben. Imogen Kogge greift als Frau Marte laut lamentierend von der zweiten Reihe im Zuschauerraum in das Geschehen ein und drängelt sich mit dem Corpus delicti, dem zerbrochenen Krug, nach vorne. Eine komödiantische Glanznummer ist ihr Bericht, was alles angeblich auf dem Krug zu sehen gewesen sein soll. Eve (Stefanie Reinsperger – in weißem Kleid und hochhackigen Pumps, die sie gern von sich wirft) und Ruprecht (Till Wonka in Anzug und Krawatte) sind das Liebespaar, dessen Existenz von Adams Schurkereien bedroht ist.
In einer Prozesspause wird, nicht nur an der Rampe, reichlich Wein ausgeschenkt. Auch das Publikum wird großzügig versorgt. Das Bacchanal ufert so langsam aus, man fühlt sich an trunkene Karnevalisten erinnert.
Parizek gelingt es hervorragend zu demonstrieren, wie die Teilnehmer des Prozesses alle nur ihr eigenes Interesse verfolgen und wie wenig sie anderen vertrauen.
Zum Schluss bleibt Eve allein verzweifelt zurück auf der Bühne. Ein auf die Rückwand projiziertes Video zeigt, was sich wirklich in jener Nacht abgespielt hat, wie Richter Adam sein böses Spiel mit der Jungfer trieb.
Ein Lob für diesen Abend, der den Zuschauer mit einer äußerst spannenden und unterhaltsamen Version eines Stückes, das fast jeder meint zu kennen, überraschte. Und ein besonderes Lob für einen umwerfenden Frank Seppeler.