Skurriler Puppengott
Tags zuvor Katie Mitchell in der Halle Kalk mit einer Nacht der Ängste, Obsessionen und Depressionen aufgewartet. In der neuen Spielstätte des Kölner Schauspiels auf Zeit, der Expo am Gladbacher Wall, beschwört Suse Wächter hingegen den Abend, genauer: den Abend aller Tage, womit das Ende der Welt gemeint ist. Die in Köln nachgerade schon beheimatete virtuose Puppenspielerin Suse Wächter, Jahrgang 1969, ist zweifellos ein Phänomen: Figurenerschafferin, Darstellerin, Stimmenimitatorin. Wenn sie zusammen mit einer Mitarbeiterin ihren Puppen spielerisch Leben einhaucht, vergisst man, dass diese ungemein lebendig wirkenden Geschöpfe von realen, sichtbar bleibenden Menschen gehalten, bewegt, geführt werden.
Für diesmal steht kein Geringerer als Gott Vater im Mittelpunkt. Ausgestattet mit Rauschebart und einer an Karl Marx erinnernden Physiognomie kommt der Herrscher über das große Universum freilich nicht so schnell in die Gänge, die grauen Zellen lassen ihn mehr und mehr im Stich. Zwar hat er den irdischen Planeten mit allem, was darauf kreucht und fleucht, geschaffen, aber die Atome seines Konstrukts sind seinem Hirn teilweise abhanden gekommen. Wenn sie sich - etwa in Form eines Spermien-Balletts - wieder zu ihm gesellen, zeigt sich der schusselig wirkende alte Herr oft überrascht. Wie, dieses niedliche Kaninchen stammt aus seinen Händen? Diese scheußliche Spinne auch? Großer Aufschrei. Ironisch verbrämt mit Musik aus Wagners Rheingold und Orffs Carmina Burana („O fortuna“) erlebt der Zuschauer, wie einst Leben entstand - oder vielleicht auch nicht.
Suse Wächters Blick auf den Urbeginn der Menschheit ist natürlich keine wissenschaftlich stichhaltige Spurensuche, sondern ein Kasperlespiel, welches bei Bedarf mit dem Entsetzen Scherz treibt. Schöpfer und Geschöpfe - da kommt einfach nicht zusammen, was eigentlich zusammen gehört. Auch über das Ende der Welt haben alle so ihre eigenen Gedanken. Eine Viertelstunde lang ist dieses an die Optik der Laterna magica angelehnte Loriot-Theater ungemein sprühend und witzig, später jedoch verlieren und verzappeln sich Spiel und Gedanken im Ungefähren, Nebulösen. Und der fast blasphemisch am Kreuz Rammstein-rockig krähende Knabe Jesus dürfte Diskussionen ausgelöst haben. Ungebrochen freilich bleibt die Bewunderung für das fantasiereiche Szenarium mit seiner immer wieder erdbebenerschütterten, peu à peu auseinander brechenden Glitzer-Show-Bühne (Constanze Kümmel), mit den Darstellern Sachiko Hara und Maik Solbach, welche (samt „Chor“) den Sinnzusammenhang des Abends zwar kaum stärken, für sich genommen aber köstlich wirken. Auch Horroreffekte erheitern immer wieder...
Doch irgendwann verliert man bei dieser 90-minütigen Aufführung den Boden unter den Füßen, hält sich nur noch an dekorativen Bizarrerien fest. Wer sich dem Thema der Produktion von einer mehr ernsthaften Seite her zu nähern gewillt ist, möge sich die Bilder eines Jan van Eyck, Hieronymus Bosch, Lucca Signorelli oder Michelangelo vor Augen führen, welche das - überraschenderweise einmal aussagekräftige - Programmheft bereit hält.