Die letzten Stunden des Gottessohnes
Das Genre des Monodramas wird auf der Bühne kaum gepflegt. Vielleicht rührt das von der Überzeugung her, dass eine fesselnde Lesung immer noch eine bessere Aufführung hergibt als eine uninspirierte Inszenierung. Bei kleinen Theatern mit eher beengten Bühnenverhältnissen ist immerhin eine stimmige Raumsituation günstig vorgegeben. So u.a. vor vielen Jahren beim Schauspiel Köln, als der ehemalige (und heute wieder benutzte) Erfrischungsraum zum West-End-Theater umgebaut wurde. Hier bekamen eine ganze Reihe von Mimen Gelegenheit, sich mit Soloauftritten zu profilieren, etwa Gisela Holzinger, die Grande Dame des Hauses, oder der kürzlich verstorbene Dirk Bach, der als (nota bene bemerkenswerter) Charakterdarsteller in den Günter-Krämer-Jahren zum Ensemble gehörte.
Die Bühne des Horizont-Theaters ist im Grunde nicht viel größer als die des früheren West-End, wirkt nur aufgrund fehlender Begrenzungen weitläufiger. Hier das Pilatus-Evangelium von Eric-Emmanuel Schmitt aufzuführen, war also ein durchaus naheliegender Gedanke. Überdies sind dessen Dramen in Köln schon lange nicht mehr gespielt worden. Dabei war das Theater der Keller während der Intendanz von Meinhard Zanger (heute: Wolfgang-Borchert-Theater Münster) geradezu eine Hochburg für diesen Autor. Als besondere Erinnerung haftet eine Aufführung von Hotel zu den zwei Welten. Der auch als Romancier bekannte französische Autor gab dem Haus seinerzeit sogar einmal die Ehre seines Besuchs.
L’Evangile selon Pilate ist ein Roman in drei Abschnitten. Der erste Teil wurde als Nuit des oliviers auch dramatisiert und ist in dieser Fassung nun im Horizont zu sehen (allerdings nur noch mit zwei Aufführungen am 7. November und 9. Dezember). Wer die Bühnenversion besorgte, hat das Theater nicht bekannt gegeben. Ein nicht zum ersten Mal beklagtes Defizit; auch Künstlerinformationen werden nie veröffentlicht, obwohl dies einer Öffentlichkeitsarbeit eigentlich selbstverständlich anstünde. Für diesmal konnte zumindest erfragt werden, dass Anne Schröder mit dem Pilatus-Evangelium ihre erste Inszenierung vorlegte. Gerne hätte man die Debütantin gefeiert. Zumindest darf davon ausgegangen werden, dass bei der Premiere lebhafter reagiert wurde als in der gesehenen 4. Vorstellung mit noch nicht einmal zwanzig Besuchern.
Eric-Emmanuel Schmitt, der sich gerne religiös, vor allem weltreligiös gefärbte Sujets wählt, schreibt das Evangelium etwas neu. In der fragmentarischen Dramenversion tritt Pilatus gar nicht auf. Und der 3. Teil, wo der Autor (verschiedentlich stark kritisiert - es fiel sogar das Wort „Selbstbeweihräucherung“) über seinen eigenen Glaubensprozess referiert, dürfte für die Bühne von vorneherein nicht tauglich sein. Die Horizont-Regisseurin lässt allerdings auch an Wirkungsgrenzen des 1. Teils glauben.
Um was geht es? Jesus (Jeshua) wartet im Garten Gezemane auf seine Häscher, weiß, dass er sterben wird. Beginn und Ende der Aufführung, wo Jürgen Clemens nur sein Gesicht sprechen lässt, sind eindrucksvoll, bieten Freiraum zum Nachdenken. Die 45 Minuten dazwischen beschreiben das zurückliegende Leben des Zimmermanns-Sohnes, der eher wider Willen in die Rolle des Messias gedrängt wurde, woran auch sein Freund Judas (Jehuda) Anteil hat. Dessen späterer Verrat geschieht in gemeinsamem Einvernehmen, auf dass die Schrift erfüllet wird.
Eric-Emmanuel Schmitt fügt den Deutungen um den „Gottessohn“ eine menschlich diesseitige Variante hinzu, deren Theorie man sich aber lieber als Leser zuwenden würde denn als Theaterzuschauer. Viel ist auf der bis auf einen Baumstumpf leeren Horizont-Bühne nicht zu sehen, nur der etwas unruhig geführte und sprachlich nicht voll souveräne Darsteller, welcher geschriebene Dialoge immer wieder mit gespreizter Rhetorik umsetzen muss. Eines regt die Horizont-Aufführung freilich an: die originalen Dramen von Eric-Emmanuel Schmitt wieder stärker ins Blickfeld zu rücken. Enigma-Variationen zum Beispiel, ein seelisch ungeheuer loderndes Stück, für welches ein Alain Delon nach 30 Jahren Pause wieder auf die Bühne zurückkehrte und das auch Mario Adorf (u.a. in der Fernsehinszenierung Volker Schlöndorffs von 2005) mit Bravour spielte.