Existenzielle Tragödie
Zum 30. Todestag des Regisseurs, Schauspielers und Autors Rainer Werner Fassbinder bot der TV-Kultursender „arte“ im Juli eine umfangreiche Film-Retrospektive, in ihr auch Faustrecht der Freiheit (1975), jetzt am Freien Werkstatt Theater Köln in einer Bühnenfassung zu sehen. Der Titel spiegelt eine Lebensüberzeugung Fassbinders: der individuelle Platz im Leben eines jeden Menschen ist nicht kampflos zu haben. Diesen Standpunkt akzentuieren Filmtitel wie Angst essen Seele auf oder Liebe ist kälter als der Tod. Dass es zwischen allen Fassbinder-Filmen Beziehungen und Querverbindungen gibt, zeigt in Faustrecht der Freiheit alleine schon der Name seines Protagonisten, Franz Bieberkopf. Entnommen ist er dem Roman Berlin Alexanderplatz von Alfred Döblin. Diesen Stoff sollte Fassbinder später noch original fürs Fernsehen verfilmen (1980).
Die doppelte Namenswahl legitimiert sich durch den Charakter der beiden „Franze“: durchaus nicht beschränkt, aber letztlich simpel im Gemüt, mit dem Gefühl an vorderster Front. Wo Franz in Faustrecht der Freiheit das Herz auf der Zunge trägt, haben die anderen allenfalls Oberflächenreize im Sinn und pekuniäre Sorglosigkeit vor Augen. Dem Franz hat die Polizei seinen Freund Klaus weggeschnappt, er selber hat keine Arbeit mehr. Aber die Glücksfee scheint im hold zu sein. Er gewinnt im Lotto, findet dank seines Geldes neuen Anschluss, einen neuen Lover und ein neues Milieu.
Während die soziale Umpolung bei My fair lady in der „Oper am Dom“ mit Einschränkungen gut ausgeht, zerbricht Franz an dem Anspruch, ein „neuer Mensch“ werden zu sollen. Das all dies bei Fassbinder in der Schwulen-Szene vonstatten geht, hat natürlich privaten Bekenntnis-Charakter. Vorrangig ging es Fassbinder allerdings darum zu demonstrieren, dass unterschiedliche soziale Klassen offenbar kaum je zueinander zu finden vermögen. Eugen, der neue Freund von Franz, möchte den tumben Toren umerziehen, moniert sich über seine einfachen Klamotten, seinen ungeschliffenen Umgangston, sein defizitäres kulturelles Interesse. „Du bist einfach nur dumm“ schleudert er dem armen Jungen in ein Gesicht sprachlosen Entsetzens. Dass Franz mit seinem Geld das ihm fremde, als unangenehm empfundene Leben finanziert, beispielsweise die Buchbinder-Firma von Eugens Vater vor dem Ruin rettet, ist bei dieser Auseinandersetzung vergessen.
Während der Film ein üppiges Personarium auffährt (mit allen Fassbinder-Diven und Männerträumen von Evelyn Künneke bis Elma Karlowa, von El Hedi ben Salem bis Bruce Low), beschränkt sich Ulrich Hub, der eine vorhandene Bühnenfassung für das FWT nochmals überarbeitete, auf vier Darsteller. Verknappt wirkt auch die Ausstattung des Regisseurs: blanke, weiß getünchte Bühnenwände mit der blutroten Aufschrift des Stücktitels, eine Vase mit symbolisch zu interpretierenden Lilien. Die mit Kreide auf den Boden geschriebenen Worte ergänzen sich allmählich zu dem Fassbinder-Ausspruch „Das einzige Gefühl, das ich akzeptiere, ist Verzweiflung.“
Mit einer revuehaften Introduktion beginnt der Abend (Berlin Alexanderplatz lässt grüßen), danach zeichnet die Regie ein eher nüchternes Psychogramm der Geschehnisse. Die Darsteller befinden sich stets alle auf der Szene, treffen aber nur bei Handlungsbedarf aufeinander. Ein Verfremdungseffekt, der einem (durchaus vorstellbarem) melodramatischem Übermaß wehrt. Klaus Wildermuth, ein Urgestein der Freien Theaterszene Kölns, sprüht als Eugens Vater nur so von geschäftsmäßiger Vitalität, Tomasso Tessitori (Max, Eugens Ex- und Again-Lover) bleibt ein wenig anonym. Bewegend Till Brinkmann. Sein Franz gibt sich in Sachen Sex keineswegs zurückhaltend, aber das wird immer mehr überlagert von Zeichen des Zerfalls eines Menschen, der gegen den sozialen Strich gebürstet wird und dabei seine Identität verliert. Die Untersuchung von Parallelen zu Fassbinders Leben ergäbe ein eigenes Kapitel.