Männer im Köln, Schauspiel

In der Expo-dolski-Stadt

„Ach wär‘ er doch in Müngersdorf geblieben/unser Poldi/er wird nie ein Gunner sein…“

Geiler wär’s schon als in der Gosse zu lieg’n, wenn Poldi noch da wäre – für den Effzeh in den Niederungen der 2. Liga und für Poldi, wenn er mit seiner neuen Mannschaft Champions-League-Heimspiele gegen den FC Schalke 04 vergeigt (so geschehen am Abend vor der Premiere). Aber so weit gehen die Kölner nicht, dass sie an ihrem Fußball-Liederabend die Melodie von Dorthes Düsseldorf-Lied anspielen. Da ein Kölner Prinz stets ein Kölner Prinz bleibt, egal ob er in Müngersdorf oder am Ashburton Grove in London seine Chancen versiebt, erwirbt der Zuschauer mit der Eintrittskarte für den echten Männerabend für Frauen, Kinder und sangesfreudige Herren in der Expo 1 das Recht, ein wunderschönes Votiv-Bildchen von Lukas Podolski heimzuführen. Jennifer Frank, von den Männern auf der Fußballtribüne lange vergeblich als „eine Nymphomanin, ‘ne kleine geile Fee“ herbeigerufen, trägt das Original dieser Ikone bei ihrem schließlichen vorübergehenden Hereinschweben wie eine Monstranz vor sich her. Da brandet der Jubel auf auf den Rängen der Expo, wo das Schauspiel Köln ausdrücklich Fußball-Schals willkommen heißt. Viel Rot-Weiß gab es bei der Premiere, manch Blau-Weiß wagte sich dazwischen, und eine hübsche junge Dame trug sogar die Farben des SC Freiburg in die Domstadt.

Dabei ist der Untertitel von Franz Wittenbrinks Männer („ein Fußball-Liederabend“) eigentlich Etikettenschwindel. Auch wenn sich da ein paar Prolls auf der Fußballtribüne lümmeln, haben die meisten Lieder, die sie singen, mit dem geliebten Sport nicht das Mindeste zu tun. Die Programmankündigung hilft sich aus der Bredouille, indem sie das Ganze als eine Art After Work Party für Fußball-Fans beschreibt: Das Spiel ist aus, aber ein paar Fans geh‘n nicht nach Haus, sondern machen noch ein bisschen Rabimmelrabammelrabumm: so’n Abchillen mit allen Themen, die Männer vermeintlich interessieren. Also „Ficken Saufen und Effzeh“, aber auch Mama und Grillen und Imponiergehabe. Nur zu Beginn geht gerade ein Spiel verloren, und da der ganze Abend eh bekloppt ist, sollte sich niemand wundern, dass es zu den Klängen einer Ouvertüre endet. Zu der von Don Giovanni. So mancher Fan gilt ja als Wüstling; es mag also passen…

Die acht ausgesprochen heterogenen Fußballfreunde jedenfalls summen die Melodie der Ouvertüre vor sich hin, begleitet von den leisen Piano-Klängen von Andreas Hirschmann. Der bestreitet den gesamten instrumentellen Part dieses Liederabends und begibt sich damit gegen die Übermacht großer Schauspieler in die Rolle des TSV Vestenbergsgreuth weiland gegen Bayern München. Fragen Sie mal einen Bayern-Fan, wie’s ausgegangen ist, damals 1994! Heute aber verbinden sich Hirschmann und das Ensemble in großer Harmonie, und ein jeder bekommt sein Solo, mit dem er glänzen kann. Ein früher Höhepunkt gelingt Michael Wittenborn mit einem alten Rühmann-Hit: Da sitzt ein Ganove vom Kiez mit fettigem Haar und wegwerfender Macho-Geste und berichtet mehr sprechend als singend: „Ich brech‘ die Herzen der stolzesten Frau’n…“ Schon simmer hin: Wir schütteln uns vor Lachen, die Damen vielleicht auch vor Ekel beim Gedanken daran, dass sie einem solchen Typen verfallen könnten. Dass Wittenborn auch Wittenbrink kann, wissen wir, seitdem er beim Durchbruch dieses Meisters aller Liederabende als grauer Bürobote am Deutschen Schauspielhaus Hamburg die vertrockneten Sekretärinnen mit „Una bella canzone“ in sexuelle Ekstase versetzte – auch das ist nun schon siebzehn Jahre her. Carlo Ljubek hat Grönemeyers „Flugzeuge im Bauch“ und Schatten im Blick – er wird irre an seinem Liebeskummer, so dass das ganze wunderschöne Lied zu einem völlig geisteskranken, atemberaubenden Medley aus allen denkbaren Grönemeyer-Hits explodiert. Torsten Peter Schnick, der von den großen Kölner Fußball-Zwergen Pierre Littbarski und Thomas Hässler noch um einige Zentimeter an Körperlänge überragt wird, ist der Schüchterne und erfreut uns mit einem Hooligan-Kontrastprogramm: „Wenn ich groß bin, liebe Mutter…“; alles andere als schüchtern ist Andreas Grötzinger als mit südeuropäischem Akzent radebrechender Gigolo, Robert Dölle zeigt den Mann von seiner weichen, warmherzigen Seite, wenn er kaum verfremdet Alexandras „Mein Freund, der Baum“ intoniert, und Yorck Dippe macht aus Queens „Bohemian Rhapsody“ die Hymne auf die andere typisch-männliche Spießer-Freude: das Barbecue.

Is this the real life? Is this just fantasy? Vielleicht ist es ja wirklich ein Querschnitt durch die verschiedenen verschrobenen Typen im Fußball-Stadion – zumindest damals, 1997, als der Liederabend uraufgeführt wurde und noch nicht gar so viele Frauen das Stadion bevölkerten wie heute. Es ist, seien wir ehrlich, nicht Wittenbrinks bester Liederabend; er kommt an die sagenhaften Sekretärinnen und auch an die vor zehn Jahren in der heutigen Erstliga-Stadt Düsseldorf uraufgeführten Mütter nicht heran. Allzu isoliert stehen die einzelnen Lieder nebeneinander, und was sie verbindet, muss man mit der Lupe suchen. Aber ein Heiden-Spaß ist die Angelegenheit doch.

Karin Beier übrigens hatte im Jahre 2007 bei Antritt ihrer Intendanz in Köln ungefragt versprochen, sie werde niemals so einen billigen Liederabend anbieten, mit denen andere Häuser ihre Kassen füllten. Clemens Sienknecht hat sie schnell eines Besseren belehrt. Und jetzt zeigt uns das Haus zum Abschluss gar einen der Klassiker – ohne Tiefgang, aber mit viel Entertainment. Böse sind wir Karin Beier deswegen nicht; stolz tragen wir die Poldi-Monstranz nach Hause. Vermutlich werden wir auch Frau Beier noch hinterherrufen: „Wärst du doch am Schauspielhaus geblieben…“ Und wenn sie Köln am Saisonende verlässt, werden wir ihr aus voller Kehle ein „You shall never walk alone“ hinterherschmettern.