Auf engem Raum
1811 war das Jahr der Vollendung des Prinzen von Homburg und auch das Jahr von Kleists gemeinsamem Freitod mit Henriette Vogel. Er, der so oft Verzweifelte, beging ihn allerdings gelassen, zelebrierte ihn sogar fast heiter und mit einer gewissen feierlichen Theatralik. „Die Wahrheit ist, dass mir auf Erden nicht zu helfen war.“ So die Worte des Mittdreißigers, der wohl auch Träumen nachhing wie der Prinz von Homburg, den das Drama mit einer somnambulen Szene einführt. Das war nun freilich nicht nach dem Geschmack des preußischen Hofes, dessen Heldenverständnis ein festgefügtes war. Die Todesangst des Prinzen wurde als unmännlicher, peinlicher Charakterzug empfunden, das „heilige Gesetz des Krieges“ verhöhnend. Kleist war keineswegs darauf aus, gegen militärische Gesetzesverfügungen zu rebellieren, doch setzte er ihnen „Liebliche Gefühle“ entgegen, wie von Prinzessin Natalie formuliert. Die moralischen Kategorien des Konfliktstückes haben inzwischen an Verbindlichkeit allerdings etwas verloren. Und Kriege spielen sich heute auch etwas anders ab als anno 1675 bei Fehrbellin. Besitzt Kleists Prinz von Homburg jenseits schulischer Reclam-Erbauung also noch ausreichend Verbindlichkeit für unsere Zeit?
Das Theater „Tiefrot“ vermag diese Frage leider nicht zu beantworten. Bald folgt der nächste Klassiker, nämlich Schillers Kabale und Liebe. Da dürften ebenfalls Nüsse zu knacken sein, aber dieses Drama passt vom Ambiente her besser auf die Minibühne von „Tiefrot“. Kleists Schauspiel benötigt Auslauf und Weite, und das durchaus nicht nur bei „Massenszenen“. Regisseur Wolfram Zimmermann hatte die ziemlich unglückliche Idee, alle Personen (vor Ort sind es sieben) ständig auf der Szene zu belassen, bei Nicht-Aktion nur den Rücken gegen das Auditorium gekehrt. Das wirkt nicht nur räumlich beengend, sondern stellt generell einen fragwürdigen Inszenierungs-Coup dar. Sparsam ist die Ausstattung (Tisch und Stühle, immer wieder umgruppiert); trotzdem treten sich die Darsteller gewissermaßen ständig auf die Füße.
Einen nachdenkenswerten Akzent setzt der Regisseur immerhin am Schluss. Nachdem Kleists kriegslüsterne Mannen sich in die nächste Schlacht gestürzt haben, kommt Natalie mit schwarzem Witwenschleier auf die Bühne zurück, zupft ein paar traurige Gitarrentöne. Das Leid liegt bei den Zurückgelassenen.
„Tiefrot“ vermag ein respektables Ensemble aufzubieten, wenn man von dem einigermaßen konturlosen Kottwitz Peter Peneskijs absieht. Die weibliche Besetzung des Arthur von Homburg erklärt sich zwar nicht wirklich, aber Susanne Armin-Zierold stattet ihn mit einer Vielfalt sprachlicher Nuancen aus, ohne freilich den komplizierten Charakter des Prinzen (changierend zwischen Traumvisionen und harter Kriegsrealität) in Gänze plausibel machen zu können. Volker Lippmann gibt etwas dröhnend den Kurfürsten, Uli Wüsthofs damenhaft sanft seine Gemahlin. Sandra Kouba, zunächst leicht pubertär wirkend, wächst in die Figur der Natalie immer stärker hinein. Graf Hohenzollern: Eric Carter, angemessen; Golz: Dimitri Tellis.
90 Minuten pausenlose Spieldauer sind eine durchaus vorteilhafte Verschlankungskur für das Kleist-Drama. Dennoch erhebt sich die Frage: sollte man es auf einer Kammerspiel-Bühne überhaupt spielen? Die Aufführung - zumal ohne ein wirklich ersichtliches Konzept - spricht eher dagegen.