Wer hat Angst vor Virginia Woolf im Dortmund, Schauspielhaus

Analyse einer Ehe: Kampf – Ritual – tödliches Spiel

Edward Albee sieht den modernen Menschen als einsames, weil isoliertes Wesen. Diese Vereinsamung kann durch Kommunikation überwunden werden, die jedoch angesichts überwältigender Gegensätze größter Anstrengung bedarf. Das zeigt Albee beispielhaft in seinem Stück Wer hat Angst vor Virginia Woolf?, das mit seinen virtuosen Dialogen spätestens seit der Verfilmung mit Elisabeth Taylor und Richard Burton als Klassiker des modernen Ehedramas gilt.

Der Kampf, den das Paar George und Martha, beide um die Fünfzig, miteinander ausfechten, ist auf den ersten Blick ein typischer Rosenkrieg, doch zugleich auch ein verzweifeltes Ringen zweier untrennbar miteinander verbundener Menschen um Glück.

George ist in den Augen seiner Frau Martha, der Tochter des Präsidenten einer Provinzuniversität, ein erfolgloser Geschichtsprofessor. Zwanzig Jahre sind die beiden schon verheiratet. Eine lange Zeit, in der sie ihren Ehekrieg perfektioniert und ritualisiert haben. Ein permanenter Schlagabtausch, eine nicht endende Reihe von Kränkungen und Demütigungen. Albee lässt seine Protagonisten vorführen, um wie viel effektiver dieser Kampf ausgetragen wird, je länger man sich kennt. Und je länger und unerbittlicher man miteinander kämpft, umso lustvoller wird die Auseinandersetzung bisweilen auch. Und manchmal scheinen die schmerzhaftesten Treffer auch fast eine Liebeserklärung zu sein, will man doch irgendwie dem anderen nah sein.

Und nie kämpft es sich besser als vor Zuschauern. George und Martha kommen spät abends schon angetrunken von einem Empfang bei Marthas Vater heim und bekommen noch Besuch. Nick, ein ehrgeiziger junger Biologie-Professor, schaut mit seiner Frau Honey auf einen kleinen Schlummertrunk vorbei, um Kontakte zu der Tochter seines Chefs zu knüpfen. Doch aus der harmlosen mitternächtlichen Party wird ein gnadenloser Kampf, ein Krieg mit kleinen Triumphen und großen Niederlagen. Die Gäste werden bei obskuren Spielen ungewollt zu Zuschauern, Zeugen, wechselnden Verbündeten oder Opfern.

Regisseurin Liesbeth Coltof ist künstlerische Leiterin der Theater-Company „Toneelmakerij“ in Amsterdam. Sie inszenierte das Beziehungsdrama im Studio des Dortmunder Schauspiels. Eine intime Spielstätte, die perfekt zum intensiven Gefühlskrieg auf der von drei Seiten begrenzten Bühne passt. Man sitzt dicht am Geschehen, erlebt hautnah jede emotionale Regung mit. Sogar wenn sich die Darsteller zurückziehen, zum Beispiel in das Badezimmer, so tun sie dies in einen Bereich auf dem hinteren Teil der Bühne, der durch einen durchsichtigen Vorhang abgetrennt ist. Sie sind also immer präsent. Auf- und Abgänge erfolgen durch die Zuschauerblöcke.

Coltof kann sich auf ein exzellentes Darstellerpaar für Martha und George verlassen. Friederike Tiefenbacher und Axel Holst spielen sie, als hätten sie jahrelang in einer solchen Beziehung gelebt. Tiefenbacher spielt die großkotzige, verletzende Megäre genauso überzeugend wie die verzweifelte Einsame, die am Ende zugeben muss, dass nur George sie glücklich gemacht hat (der sie nachts hält, damit ihr warm wird). Axel Holst glänzt als zerrissener Typ, der von seiner Frau mehr als einmal an den Rand der Beherrschung getrieben wird. Der aber auch seine kleinen Triumphe in der Arena genießt und der versucht, den Rivalen Nick zu düpieren. Julia Schubert ist eine beeindruckende Honey – zunächst scheinbar nur das naive Frauchen, später dann durchaus mehr Facetten zeigend. So tanzt sie einmal ausgelassen, lässt uns dann aber auch an ihrem persönlichen Dilemma (Kind: ja oder nein) überraschend teilnehmen. Björn Gabriel ist der forsche Biologe, der seine Karriere noch vor sich hat. Zunächst verwirrt von Georges verbalen Verunsicherungsattacken, dann zunehmend bereiter, in das „Spiel“ einzusteigen, auch ohne Rücksicht auf seine Frau.

Ein intensiver Abend, der überzeugend die Aktualität des Stückes herausstreicht.