„Es ist schon schwer, einen Lebensgenuss aufzunehmen“
Werner Schwab, dem man einen büchnerschen Fieber- und Schreibwahn attestierte, schrieb seit seiner frühesten Jugend zunächst experimentelle Texte und abstruse Erzählungen, später ausschließlich Theatertexte. Die von ihm erfundene Kunstsprache, das „Schwabische“, ist das Markenzeichen seiner Stücke: „Sprache in reines Menschenfleisch zu verwandeln … und selbstnatürlich umgekehrt“. Schwabs Stücke sind gekennzeichnet durch Vernunft, genaue Beobachtung und Kälte. Lange Zeit musste Schwab sich mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser halten, da er vom Schreiben nicht leben konnte. 1990 kam der Wendepunkt in seinem Leben. Die Präsidentinnen wurden in Wien uraufgeführt. Und nach und nach erregte seine ungewöhnliche Theatersprache auch in Deutschland Aufmerksamkeit. Theater heute kürte ihn 1991 zum Nachwuchsautor des Jahres und ein Jahr später zum Dramatiker des Jahres. Innerhalb kürzester Zeit wurde Schwab zu einem der meist gespielten Dramatiker deutscher Sprache.
Schwab trank seit seiner Kindheit heftig. In der Silvesternacht 1993/1994 starb er im Alter von 35 Jahren, auf dem Höhepunkt seiner künstlerischen Laufbahn, an einer durch eine Alkoholvergiftung hervorgerufenen Atemlähmung. Ein zutiefst unglücklicher Mensch, der sagte: „Er kann ja seinen eigenen Menschen in sich nicht aushalten“.
Ort der Handlung der Präsidentinnen ist eine kleine Wohnküche, die Schwab in einer Regieanweisung so beschreibt:, „bis an die Decke voll geräumt mit Plunder (Fotos, Souvenirs, sehr viel religiöser Kitsch…), trotzdem sehr aufgeräumt… ein unrealistischer Raum also, der trotzdem als kleinbürgerliche Wohnküche erkennbar ist.“
Erna, Grete und Mariedl sind die Präsidentinnen. Sie sitzen in Ernas Wohnküche und reden sich um ihr Leben. Erna, die sparsame und fromme Mindestpensionistin, trägt ein schweres „Lebenskreuz“ an ihrem oft betrunkenen Sohn Hermann. Sie ist dem Heiligen Vater und dem polnischen Fleischereibesitzer Wottila ergeben. Die dralle Grete, ebenfalls Pensionistin, deren Tochter Hannelore schon vor Jahren nach Australien floh, hat nur noch die Dackelhündin Lydia zur Gesellschaft. Nachdem ihr Mann, der Kurti, sich zunächst an ihrer Tochter verging und dann die Scheidung einreichte, um „diese Chinesin oder Thailänderin… zu heiraten“. Mariedl ist wesentlich jünger. Sie, die unbedarfte Wallfahrerin und passionierte Klofrau freut sich, wenn möglichst viele Menschen ihr aufopferndes Tun in der Klomuschel in Anspruch nehmen.
Ordinär, direkt und brutal teilen sich die drei Frauen ihr Träume und Sehnsüchte nach einem besseren Leben mit. Aus dem Gegensatz zwischen derber Sprache, Aneinandervorbeireden und dem Wunsch nach Anerkennung und Liebe ist ein schockierendes und zugleich sehr komisches Schauspiel entstanden.
Die Präsidentinnen sind Jasper Brandis erste Arbeit am Schauspiel Essen: In der Casa, der kleinen Essener Spielstätte, sitzen die drei Frauen am Küchentisch, hinter ihnen ein Bühnenprospekt mit einer idyllischen Landschaft samt Bergpanorama und Kirche. Beim Betreten der Studiobühne kommt man an einer Wand vorbei, an der unzählige Heiligenbildchen, Geweihbrettchen, alte Fotos auf einer grauslichen Mustertapete hängen. Wunderbar hässlich zusammengestellt von Asima Amriko, die für die Ausstattung zuständig war. Brandis kann sich auf drei grandiose Schauspielerinnen verlassen, die mühelos die traurige Aktualität des Stückes verdeutlichen: sehen wir doch Frauen, die im Leben nie auf der Sonnenseite standen.
Ines Krug glänzt als sinnenfrohe, sich freizügig gebende Grete, die in ihrer Fantasie in den Armen des feschen Tubaspielers Freddy landet. Ingrid Domann spielt Erna, die ihr Leben lang nur sparte und sich jetzt endlich einen gebrauchten Fernseher geleistet hat. Amüsant, wie auch sie durchaus am Leberkäslieferanten Wottila Gefallen findet, mit dem sie in ihrer Traumvorstellung Selchfleischbrote verzehrt. Mariedl wird hinreißend naiv-fanatisch von Bettina Schmidt gespielt. Zunächst unsicher, mit nervösem Augenzwinkern, dann aber zu Höchstform auflaufend, wenn sie sich in ihre Rolle als Heilige Johanna der verstopften Aborte hineinsteigert. Denn „das Klo muss erst verstopft werden, das der Mariedl widerstehen kann“.
Ein skurriler, unterhaltsamer, absolut sehenswerter Abend.