Kabale und Liebe im Köln, Theater Tiefrot

Auf dem Prüfstand

„In tirannos“ - diese Anklage von Schillers Jugenddrama Die Räuber zieht sich wie ein roter Faden durch das Leben des Dichters bis hin zu Wilhelm Tell, geschrieben 1804, ein Jahr vor seinem Tod. Auch in Kabale und Liebe wird die soziale Kluft zwischen Bürgertum und Adel kritisch thematisiert. Schillers Trauerspiel hat derzeit in Schulen und an Theatern Konjunktur. Auffällig, aber durchaus nicht verwunderlich, denn das Thema der „großen Liebe“, welche sich gegen massiven Widerstand durchsetzen muss (oft erfolglos), bleibt überzeitlich, wie ferngerückt mitspielende gesellschaftliche Verhältnisse auch immer sein mögen. Ob man also inszenatorisch so weit gehen muss wie vor kurzem in Mülheim (siehe hier), bliebe zu diskutieren.

Im Theater Tiefrot vertraut Hausherr Volker Lippmann ohne Berührungsscheu auf die Sprachkraft Schillers, auf die Brisanz des Sujets, die man sich als „normaler“ Theatergänger ohnehin nicht infrage zu stellen bemüßigt fühlt. Dass durch eine Terminverschiebung die teilweise extrem jungen Zuschauer der ursprünglich zweiten Vorstellung jetzt zum Premierenpublikum avancierten, hätte Anlass zu einer Diskussion darüber geben können, ob dieses mit den Gefühlen von Luise und Ferdinand überhaupt noch etwas anfangen kann. An Identifizierung vermag man ohnehin fast nicht mehr zu glauben. Dass während der Aufführung kurz ein Handy aufleuchtete, muss freilich nicht gleich als Zeichen von Langeweile gedeutet werden.

Lippmann zieht einen Teil der Schlussszene an den Anfang, lässt hier etwas „moderner“ und flotter spielen als üblicherweise, nachgerade „schülerhaft“ sprechen. Erste Befürchtungen kommen auf. Doch rasch wird man sich der gezielten Kontrastsetzung bewusst, und das Spiel läuft innerhalb der pausenlosen zwei Stunden (bei kleinen Strichern und mit Fortfall der Figur von Luises Mutter) im Originaltext mit all seinen kleinen Vergilbungen ab. Die hierfür erforderliche Diktion wird von allen Darstellern weitgehend rollenspezifisch geleistet. Till Klein wirkt als Wurm allerdings zu wenig kalt, zu wenig intrigant; mehr rhetorische Messerschärfe täte gut. Und noch schwerer tut sich Janosch Roloff mit dem Ferdinand, dessen Leidenschaft und emotionale Euphorie er sprachlich nicht so recht zu formen versteht, stattdessen zu Plakativität neigt.

Mädchenhaft anrührend, doch ohne Tendenz zum Kitschigen, sogar eher herb gibt Eva Wiedemann die Luise und macht glaubhaft, dass natürliche Herzensbildung sie gewissermaßen „adelt“. Den karrieresüchtigen Präsidenten gestaltet Michael Marwitz ausgesprochen cholerisch, Stefan Krause den Miller mit sympathischer Väterlichkeit, die Affektiertheit des Hofmarschalls von Kalb kostet Matthias v.d. Berg genüsslich aus. Lady Milford ist bei Ann-Cathrin Schaible eine rassige, aber auch verletzliche Frau, mit dem Mut, die Fragilität ihrer Gefühle schonungslos zu offenbaren. Die Milford ist das Debüt der Darstellerin am Haus, welches übrigens seit nunmehr zehn Jahren besteht und mit Kabale und Liebe seine 100. Inszenierung liefert.

Bei der Begegnung der Lady mit ihrer Rivalin Luise lässt Lippmann die Texte beider Frauen von den Darstellerinnen gleichzeitig sprechen, während sie vor großen Spiegeln Erscheinung und Mimik abwägen. Verwandte Seelen, so sehr sich beide Frauen von Naturell und Stand her auch unterscheiden. Die finalen Worte von Präsident, Wurm und Miller werden bewegungslos an der Pietà des toten Liebespaares deklamiert, extrem langsam fährt das Licht zurück. Ein Requiem? Ansonsten nutzt die Regie die durch eine Plattform inmitten des Publikums erweiterte Bühnenfläche zu natürlicher, lebendiger Aktion, wo nur das Spiel mit Stühlen gelegentlich etwas gewollt anmutet. Auch dass der Kammerdient (weiblich besetzt mit Christina Wolke) die Internationale summt, wirkt wie eine pflichtschuldige Reverenz an interpretatorischen Zeitgeist.

Im Zusammenhang mit dem Bericht über die letzte Produktion des Hauses, Kleists Prinz von Homburg, wäre nachzutragen, dass es sich hier um eine Gastinszenierung handelte. Dieser Tatbestand ist Volker Lippmann wichtig, er sei an die LeserInnen von theater:pur also weitergegeben.