Ein wilder Garten, der unsere Träume bewahrt
Im engen, aber immer wieder räumlich klug genutzten Malersaal des Oberhausener Theaters wuchert ein Stück Paradies, Der geheime Garten. Er gehört zum großzügigen Gut von Misseltwaithe Manor. Was sich wie ein Zitat von Loriot/Courths-Mahler/Rosamund Pilcher anhört, besitzt auf der britischen Insel seit langem Kult-Status. Denn das Buch von Frances Hodgon Burnett war/ist Pflicht in jedem Haus, in dem Kinder aufwachsen. Ihr in Deutschland bekanntestes Buch ist Der kleine Lord – nun wissen wir aber auch, was es mit dem Geheimen Garten auf sich hat, denn das Team um die englische Regisseurin Lily Sykes bringt diese „alte“ Geschichte um Trauer und Vertrauen, um Träume und Bosheit (der Erwachsenenwelt) auf die Bühne. Sykes gab selbst vorab zu, dass sie ein besonderes Verhältnis zur Schriftstellerin und zu ihrem dortigen Bestseller hat. Der Klassiker hat – in der Bearbeitung/Übersetzung von Thomas Birkmeir – das Zeug, auch deutsche Jugendliche und Kinder für das Thema und den Klassiker zu gewinnen. Die Regie verharmlost oder verkitscht das Ganze nicht, sondern zeigt lebendige, auch kauzige Charaktere, die sich im Laufe des Stückes verändern. Zum Besseren…
Mary lebt in Indien. Ihre Eltern gehen nicht gerade liebevoll mit dem Mädchen um. Bei einer Erdbebenkatastrophe kommen sie um, zurück bleibt als Waise Mary, die deshalb den Kontinent wechselt – sie wird von ihrem Onkel Lord Craven (Hartmut Stanke) in Misselthwaite Manor aufgenommen. Der wiederum trauert um seine verstorbene geliebte Frau Lily und zeigt sich äußerst abweisend gegenüber der „fremden“ Verwandten. Sie ist ihm einfach lästig. Zum großzügigen Schloss-Areal Cravens gehört ein alter, bewusst verwilderter Garten, den einst Lily angelegt hatte. Außerdem sorgt Verwalterin Mrs. Medlock (Elisabeth Kopp) für Krach, miese Laune und böse Überraschungen. Doch Mary zieht sich nicht zurück, sondern geht offensiv und voller Lebenshunger und Wissbegier mit der Situation um Tod, Trauer, Launen und Geheimnisse um. Im Verbund mit dem Hobby-Zauberer Dicken (Martin Hohner) und Freund Collin (Eike Weinreich) dringt sie in den vormals „geheimen“ Garten ein. Das Stück Land wird zum Symbol für Träume, für Fantasie, ganz allgemein für die kindliche Existenz mit Hoffnungen und Sehnsüchten. Mit diesem Wissen verändert die couragierte Mary den Kosmos auf Misselthwaite Manor zum Guten, zu einem Zuhause für alle…
Angela Falkenhan spielt dieses Mädchen an der Schwelle zum „reiferen“ Alter mit quirliger Sympathie – ein Typ, mit dem man Pferde stehlen könnte. Sie reißt die Geschichte an sich und wird dramaturgisch immer dann zur Handelnden eingesetzt, wenn die Story einmal lahmt oder in vertraute Gemütlichkeit driftet. Mary ist die Projektion eines wachen Kindes. Da gibt es bekanntlich viele Vorbilder in der Literatur, im Theater oder auf der Leinwand.
Lily Sykes besitzt jedenfalls einen subjektiven und überzeugenden Zugang zum „Lieblingsstück der Kindheit“. Sie garantiert Lebensnähe und Kinderweisheit. Rosamund Pilcher ist dann doch ziemlich weit weg von dieser Wandlung verkauzter Typen zu warmherzig denkenden und fühlenden Menschen. Mary und Lily sei Dank! Für sie bildet der Garten einen Brunnen der eigenen Fantasie.