Übrigens …

Amphitryon im Bochum Theater Rottstraße 5

Kein Ach der Alkmene

„Gegen Geilheit helfen keine Barrikaden. Merkt Euch: Der Feind geht täglich rein und raus“, heißt es in unverhohlener Zweideutigkeit in Erich Frieds Übersetzung von Shakespeares Wintermärchen. Und wie erst bei den Göttern: Trickreich sind sie; Barrikaden sind da zwecklos. Der Feldherr Amphitryon kommt voller Vorfreude auf sein junges Weib Alkmene aus dem Krieg zurück und findet diese glückselig und sexuell hochbefriedigt von einer aufregenden Liebesnacht vor – einer Nacht, die sie vermeintlich mit ihrem Gatten, tatsächlich aber mit Jupiter verbracht hat. So ist es bei Kleist, so war das schon bei Molière und bei Plautus, so ist es bei Peter Hacks und jetzt auch bei Karoline Behrens am Rottstr5-Theater in Bochum. Kleist, Molière und Plautus beschreiben das im hohen Ton fein gedrechselter Verse. Aber haben Sie sich schon einmal vorgestellt, wie sich das wohl anfühlt, von einem Gott gevögelt zu werden? So ganz konkret? Vom obersten aller Götter zumal, von Göttervater Jupiter? Ganz menschlich sind die Lüste und Begierden der Götter, und himmlisch ist die Lust, wenn‘s die Götter einem besorgen.

Denkt man jedenfalls, wenn man der jungen Rottstraßen-Debütantin Jessica Maria Garbe zusieht, wie sie sich mit Jupiter Felix Lampert vergnügt. Ganz ohne hohe Töne. Hinreißend, wie sie badet in den Komplimenten des Mannes, wie sie es genießt, die umschwärmte Königin seiner Nacht zu sein. Das Glück ist vollkommen, Alkmenes Augensterne strahlen, sie wiegt sich im Glück; voller Harmonie und in perfekter erotischer Balance umschließen ihre Beine den liebenden Körper des begattenden Gottes. „Bist Du?“, fragt sie selig. Und Jupiter antwortet ein wenig zögernd, nach kurzer Pause: „Ich bin.“ Nun ja: „Wenn man die Schönheit prüft, dann täuschen die Nacht und der Wein“, hieß es im Prolog zur Aufführung.

Ja, es ist nicht nur der hohe Ton des Heinrich von Kleist, der in der Textfassung von Karoline Behrens anklingt, es ist auch Ovids Ars Amatoria. Es sind Behrens‘ eigene, ausgesprochen heutige Texte, die das Pathos von Kleist oder Ovid brechen, und es sind eine Vielzahl von Fremdtexten bis hin zu Sarah Kanes Verzweiflungsausbrüchen. Von Pathos ist selbst in den sprachlich schwierigen, oft sehr schnell gesprochenen klassischen Text-Passagen keine Spur: Unterstützt durch sorgfältig ausgewählte, beziehungsreiche Popsongs nehmen uns die brillanten Schauspieler von Beginn an gefangen. Perfekt transportiert insbesondere Jessica Maria Garbe in Mimik, Gestik und Sprachmodulation die gesamte Bandbreite der Emotionen, die eine solche Liebesverwirrung mit sich bringt; wunderbar feixend betrachtet Felix Lampert die vergeblichen Bemühungen des weniger elegant auftretenden Amphitryon (Julian Hackenberg) um Klärung der Angelegenheit. Behrens‘ nur 65 Minuten kurze Inszenierung, die sich ausschließlich auf die drei Hauptfiguren konzentriert und auf die Parallelhandlung um Merkur, Sosias und Charis verzichtet, ist eine gelungene Melange aus Komödie und Tragik, aus Körpertheater und Sprechkunst – und im Verein mit der einschmeichelnden Musik höchst unterhaltsam. 

Aber auch in höchstem Maße durchdacht. Die Komödie der Liebesverwirrungen ist auch das Drama des drohenden Identitätsverlusts. Mit einfachen Worten wird dieses Thema von Regisseurin Karoline Behrens umrissen: „Bist Du?“„Ich bin.“ - „Bin ich Alkmene?“, fragt die Hausherrin sich später, selbst von beginnenden Identitätszweifeln geplagt, als ihr das Verwirrspiel mit den zwei gleichgestalteten Männern dämmert, und auch Amphitryon stellt, diesmal ganz im Originalton Kleist, fest: „Dass man einem Mann Gestalt und Art entwendet …, das ist ein leidges Höllenstück des Satans.“ Der Appell an sein Volk, mit ihm gegen den seltsamen, seinen Schabernack mit Amphitryons Identität treibenden Fremden vorzugehen, wird in Behrens‘ abgespeckter Version des Dramas zum reinen Akt der Selbstvergewisserung eines zunehmend verunsicherten Hausherrn: „Wer bin ich? …  Erinnert Euch, dass ich Amphitryon bin…“ Und tatsächlich: Zu Ryan Stars „Losing Your Memory“ wälzen die drei sich gegen Ende fröhlich turtelnd über die Mehrstufen-Matratze, die das zentrale Element des Bühnenbildes bildet. Die Identitäten scheinen aufgehoben, der flotte Dreier möglich.

Was bleibt ist das Ach der Alkmene? Nö. „Wake up … little girl, wake up, remember who I am in the morning“, heißt es am Ende des Liedes. Und Alkmene erwacht. „Noch kann ich mein eigenes Selbst fühlen”, sagt sie - und steigt aus. Zurück zur eigenen Identität, zur Rationalität, zum Selbstbewusstsein der modernen Frau des 21. Jahrhunderts. Fuck you, sagt Alkmene, und zurück bleiben zwei bedröppelte Herren, gegen deren Geilheit Alkmene eine Barrikade aufgerichtet hat. Eine starke Frau. Alkmene, und auch Frau Garbe. Kompliment, nicht nur von Jupiter, sondern auch vom Rezensenten.