Leerstelle, brillant gesungen
„Hallo!“, erklingt es glockenrein zweistimmig. Ein Wurstbrot wird auf die Bühne geworfen. Es ist aus Schaumstoff, spielt also eine Rolle. Es ist einsam, erfahren wir, niemand beachtet es, hebt es auf, geschweige denn isst es. Es ist heimatlos. Womit wir beim Thema wären.
Das Kollektiv de Haan/von Ernst/Klomfaß geht es in Where are you from? um die Erforschung eines Heimatbegriffes jenseits von Trachten und Folklore. Das Team versucht couragiert, eine Leerstelle zu zeigen, ein von Sehnsüchten und viel Prätention infiltriertes Bedeutungsvakuum. Der Abend dauert eine knappe Stunde lang. Auf der Bühne ereignet sich – nahezu nichts. Scheinwerfer und Stühle werden hin- und hergeschoben, eine Plüschwolke wird hochgezogen und pendelt ein wenig, exotische Obstbüsche, zweidimensionale Eisbecherskulpturen und andere, durchaus originell gestaltete Objekte werden im Raum angeordnet. Im letzten Drittel gibt es zudem strukturell nicht aufgefangene, daher recht lapidar wirkende, dennoch rührende Auftritte von Laienkollektiven. Das Seniorentheater SETA zeigt einen charmant leicht gerührten Tanz, der Chor Polonia singt inbrünstig und mehrstimmig ein polnisches Volkslied, das Fanfarencorps Düsseldorf Oberbilk macht gut gelaunt musikalisch strukturierten Karnevalslärm. Das alles ist leicht auf einen Heimatbegriff zu beziehen, aber ist es – schon – Theater?
Die Vermittlungsinstanz arbeitet links vor der Bühne. Julia Klomfaß und Thanh Mai Susann Kieu sind schlichtweg überwältigend gut. Sie singen fast durchgehend in verschiedenen Stilen, immer zweistimmig, mit viel Ausdruck auch in Körper und Gesicht. Dazu bedienen sie diverse Instrumente von der Geige bis zur Blockflöte. Man hört ihnen ungeheuer gerne zu. Fast ziehen sie die Aufmerksamkeit vom reduzierten Bühnengeschehen ab, so brillant und ausstrahlungsstark arbeiten sie.
So mitreißend die musikalische Gestaltung ist, so problematisch sind die Texte von Axel von Ernst. Nach dem Wurstbrotprolog gleitet er in ein Fernsehshowsetting hinein und skizziert das Milieu auf parodistische Weise. Das wirkt über weite Strecken schrecklich abgegriffen, zumal auf der Bühne nur eine Unterströmung plätschert, aber kein Gegengewicht etabliert wird. Zwar gibt es nachdenkenswerte Sentenzen wie „Hier gibt es keine Heimat. Alle sind zuhause.“ oder „Heimat, das ist Angekommensein!“. Es gibt mehrere interessante, auch witzige Textkomplexe, etwa um eine Sängerin aus ‚Blagoslowenija‘, die erst ausführlich eingeführt und dann ganz schnell hinauskomplementiert wird, weil die virtuelle Talkshow zum Thema ‚Heimat‘ überbucht ist. Oder den jüdischen Emigranten, der in ein amüsantes und fürchterliches Netz aus untergründigem Rassismus gerät. Aber auch diese gelungenen Passagen bleiben kritische Behauptung, Hörspiel, künstliche, kaum künstlerische Form.
Where are you from? ist ein durch und durch intelligentes, sensibles und seriöses Projekt. Bis auf die Anfangssequenz und dem charmanten Dauerauftritt der grandiosen Sängerinnen fehlt aber eine grundlegende Ebene von Theater – das Spiel. Und, bei der ganzen Medien- und Sozialkritik hätte ein Schuss anarchischer Wildheit der Sache vielleicht auch gut getan.