Kriegsspiele in Köln
Das nach in „nach Falk Richter“ sei diesmal ernst zu nehmen, sagt Inken Kautter, die Mitleiterin des Freien Werkstatt Theaters und Co-Autorin des Abends, bevor die Premierengäste Einlass in den Saal finden: „Zuerst kommt das Stück von Falk Richter, und dann kommt alles andere.“ Alles andere, das sind neben den eigenen Texten von Inken Kautter und Judith Kriebel Beiträge von 22 weiteren Autoren, darunter, um nur einige der Prominenteren zu nennen, William Shakespeare und Angela Merkel, Adolf Hitler und Friedrich Schiller. Gemeinsam ist allen, dass sie sich über den Krieg geäußert haben. Am Ende des Abends werden wir festgestellt haben, dass die Schriftsteller das nicht nur in den wohlgesetzteren Worten getan haben, sondern dass sie auch das bessere Schauspielerfutter bieten. Der Intention des Abends dienen die Politikerworte dagegen mehr.
Deutlich weniger Tote, der Original-Text von Falk Richter, ist ein nur zehn Minuten kurzes Bravourstück der Polit-Satire. Es ist ein wunderbarer, vor Ironie triefender Text für zwei Krieger, die im FWT „im Monteursanzug“ statt in Uniform auftreten. René Wedeward berichtet geradezu Surreales von der Front: Nette Syrer und Afghanen grüßen freundlich, putzen ihre Autos und legen hübsche Rosenbeete an. Sie führen ein vorbildliches deutsches Spießer-Leben, sprengen ihren Rasen und ab und zu ein Hochhaus. Brennende Menschen gibt es nicht so viel, vielleicht zwei oder drei am Tag; die Städte sind sauber, anstelle der Blauen Tonne holt die Müllabfuhr zweimal pro Woche die Leichen ab. Alles ist o.k., es gibt deutlich weniger Tote.
Es ist brillant, wie René Wedeward und Valentin Stroh diese Ungeheuerlichkeiten freundlich und in alltäglicher Selbstverständlichkeit berichten; mancher Gluckser im Publikum belohnt ihr Spiel. Doch wie die beiden Schauspieler ihre Zuschauer im Griff haben, beweist die Plötzlichkeit, mit der es dann mucksmäuschenstill wird im Saal. Ob Wedeward seine Familie vermisse, erkundigt sich Stroh. Und die sichere Fassade bröckelt: Nein nein, das mache ihm nichts aus, sagt Wedeward. Wir spüren, wie er in seinen Grundfesten ins Wanken gerät. Die Frau ist weg, die Tochter ist tot – beide Opfer des Krieges. Doch alles ist o.k., nette Afghanen und Syrer sind seine Nachbarn, das Leben ist angenehm. Die lustige Satire ist beendet; erschrocken erkennen wir eine Traumatisierung, die an Danny aus Dagenham erinnert, Simon Stephens‘ Irak-Heimkehrer aus „Motortown“. Sie äußert sich ganz anders, resultiert aber aus den gleichen Erfahrungen.
Es folgt: eine Collage aus anderen Kriegsberichten und verteidigungspolitischen Stellungnahmen. Beiläufig bekommen wir ein wenig Geschichtsunterricht anhand eines Disputs über die Schlacht bei Azincourt aus Shakespeares König Heinrich V; mit vor vaterländischem Pathos bebender Stimme rezitiert Valentin Stroh Ernst Jüngers In Stahlgewittern. Der gleiche Schauspieler legt dann tolle Parodien von Adolf Hitler und Horst Köhler hin. Stanley Kubricks Full Metal Jacket wechselt sich mit Schillers Wallenstein ab; Tony Blair und René Pollesch werden kurzgeschlossen (und Valentin Stroh spielt auf der Violine dazu); der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages Hellmut Königshaus kommt ebenso zu Wort wie die Mitglieder des Verteidigungsausschusses Inge Höger von der Linken und Jürgen Hardt von der CDU.
Gearbeitet wird nun vorwiegend mit den ästhetischen Mitteln des Kabaretts, wenn auch weniger pointenselig. Das wolkige, verschwurbelte Gequake der Politiker-Aussagen ist stets Original-Zitat – sei es in geradezu Stoiberscher Hauptbahnhof-Manier, von Horst Köhler oder in unschlagbarer Präzision von Angela Merkel: „Wir sind in Kämpfe verwickelt, wie man sie im Krieg hat“, stellt sie klar, um nicht zugestehen zu müssen, dass deutsche Soldaten in Afghanistan in einem Kriegseinsatz sind. Kabarettistisch wirkt auch der Galopp durch die Geschichte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts – vom Kalten Krieg über die Friedens- und Flower-Power-Bewegung der 68er bis zu den neuen, teils verschämten, teils selbstbewussten Einsätzen der Bundeswehr in Krisenregionen. Doch immer wieder wird dieser kabarettistische Ansatz analog zur Schluss-Szene des Falk-Richter-Dramoletts gebrochen vom Erschrecken: Wedeward, der zuvor den weichen, harmoniesüchtigen Soldaten gespielt hat, berichtet mit rotzigem militärischem Machismo von der Vergewaltigung einer 12jährigen, von sadistischen Morden; kurze Spielszenen verbreiten Angst und Schrecken.
Die beiden Schauspieler stellen eine große Bandbreite von Charakteren dar und damit ihre Vielseitigkeit unter Beweis. Im Großen und Ganzen wirken sie in den (sehr heterogenen) literarischen Szenen stärker als in den Zwischentexten und der Realsatire aus der Politik. Dies ist vorwiegend auf die literarische Qualität der entsprechenden Texte Shakespeares und Schillers, Jüngers und Richters zurückzuführen, hat aber auch mit der Unentschiedenheit des Abends zwischen bösem Kabarett und politischer Anklage zu tun. Die aggressiveren politischen Aussagen fallen weniger radikal aus als die entsprechenden Passagen in Richters jüngeren Collagen in Düsseldorf (Rausch, Büchner), entsprechen in ihrer gemilderten Schärfe aber dem Text, der die Initialzündung für den Abend war: „Deutlich weniger Tote“. Wie Richter in seiner Düsseldorfer Kapitalismuskritik hält auch Judith Kriebels Inszenierung in Köln für die sogenannte Verteidigungspolitik keine Patentlösung bereit, was zur Glaubwürdigkeit des Abends beiträgt. Auch wenn deutlich wird, dass das Produktions-Team den Militäreinsätzen der Bundeswehr kritisch gegenübersteht, spürt man die Ratlosigkeit im Hinblick auf eine politisch korrekte Haltung zu den zahllosen Krisenherden dieser Welt: Kann man die syrischen oder libyschen Aufständischen sich selbst überlassen in ihrem Kampf gegen repressive Systeme? War es nicht falsch, vor zwanzig Jahren in Ruanda nicht eingegriffen zu haben? Wäre es zu rechtfertigen gewesen, den Massakern in Bosnien-Herzegowina in den 90er Jahren tatenlos zuzuschauen?
Die Patentlösung gibt es nicht. Aufmerksame, ideologisch nicht verbohrte Zuschauer spüren dies in dieser Aufführung mit einem gewissen Unwohlsein. Erschreckend aber sind die Inkonsequenz und die Konzeptlosigkeit der Politik, die Wedeward und Stroh uns in der letzten Szene eindrucksvoll nachweisen. – Langer Applaus.