Die Troerinnen im Köln, Schauspiel

Abschieds-Inszenierung

Die Inszenierung der Troerinnen von Euripides (Fassung: Jean-Paul Sartre, Übersetzung: Hans Mayer, Spielfassung: Karin Beier, Ursula Rühle) setzte gewissermaßen den großen Schlusspunkt unter die seit 2007 währende Kölner Intendanz von Karin Beier. Mit dieser Produktion geht ihr „kreativer Prozess“ hierorts zuende, es bleibt das „schrumpfende Tagesgeschäft“, wie sie es jüngst in einem Interview formulierte. Es dürfte Karin Beiers Ethos allerdings zuwiderlaufen, dieses Tagesgeschäft nur halbherzig abzuwickeln, zumal sie für die noch kommenden Produktionen automatisch Mitverantwortung trägt.

Die Troerinnen waren von Euripides als letzter Teil einer Troja-Trilogie konzipiert. Voraus gingen Alexandros und Palamedes; Sisyphos komplettierte als Satyrspiel. Von all diesen Stücken sind lediglich Fragmente erhalten. Die vollständig überlieferten Troerinnen haben für heutige Zuschauer den erfreulichen Vorteil, dass sie eine weithin bekannte geschichtliche Situation spiegeln, nämlich den Trojanischen Krieg. Im übrigen wirkte Euripides zu einem Zeitpunkt, als der Hörigkeitsglaube der Menschen an die Götter langsam in Frage gestellt wurdet. Zwar wurde die Autorität des Olymp noch anerkannt, doch auch kritisiert und Verantwortung für die irdische Welt  immer stärker dem Menschen übertragen.

Karin Beier setzt in ihrer Inszenierung Poseidon anfangs zwar noch mit theatralischem Pomp in Szene (man hört Vogelzwitscher, es wallen Nebel, bewegte blaue Tücher suggerieren das Meer). Das ist aber erkennbar auch Ironie; der Gott weiß ja auch um die Gefährdung seiner Glorie. Die Regisseurin verzichtet - vermutlich um dies zu akzentuieren - darauf, Poseidon zuletzt als Mahner vor unheilvollen Entwicklungen nochmals in Erscheinung treten zu lassen, wie es die Sartre-Adaption der Euripides-Tragödie eigentlich vorsieht. Die fatalistischen Warnungen bleiben nunmehr einzig Hekuba in den Mund gelegt, eine logische Entscheidung der Regie, wird so doch der feministische Aspekt des Dramas betont.

Das Leid schweißt die trojanischen Frauen zusammen, was Karin Beiers Inszenierung in viele eindrucksvolle Bilder umsetzt. Es flammen aber auch die unterschiedlichsten Schuldzuweisungen auf. Für heutigen Geschmack einigermaßen befremdlich wirkt Andromache mit ihrer unterwürfigen Liebe. Ihre Verbundenheit mit dem Gatten Hector über dessen Tod hinaus berührt dann aber doch sehr stark, zumal die Rolle von Lina Beckmann gespielt wird. Ihr ist eine nachgerade kreatürliche Überzeugungskraft eigen, wie bereits als Dostojewskis Idiot und Hauptmanns Mutter John bewiesen. Die Szene, als Andromache die Nachricht überbracht wird, dass ihr Söhnchen Astyanax aus politstrategischen Gründen getötet wird, bringt einen in die Nähe des Weinens. Auch Julia Wieninger als Hekuba wartet mit großer emotionaler Kraftentfaltung auf. Bei der somnambulen Kassandra macht der leichte Sprachakzent von Rosalba Torres Guerrero Wirkung. Die stark choreografisch strukturierte Darstellung dieser Rolle gehört zu den Theater-auf-dem-Theater-Effekten der Regie.

Nicht immer glücken sie. In der Überzeugung, dass zwei Stunden schwärzeste Tragödie das emotionale Durchhaltevermögen des Publikums überfordern würde, inszeniert Karin Beier die Verteidigungsrede Helenas (stimmig: Angelika Richter) als eine Art von Supershow mit Menelaos als Animator (souverän York Dippe), der immer wieder Weisungen an das technische Team der Aufführung gibt und das Publikum zur Abstimmung über Tod oder Leben Helenas ermuntert. Das erinnert an die Art und Weise, wie kürzlich Walter Kreyer die Glasmenagerie von Tennessee William veralberte. Die Mitwirkung der englischen Sängerin Rosemarie Hardy im „Chor“ bedeutet vielleicht ein Treueverhalten der Regisseurin, macht keinen besonderen Sinn, Yuko Suzuki mit ihrem Mäusestimmchen wirkt sogar ausgesprochen nervig.

Die von Thomas Dreissigacker mit dunklem Sand ausgefüllte Bühnenspielfläche, über welcher ein Lautsprecher hängt, über den Talthybios (Nikolaus Benda) seine KZ-Befehle erteilt, bietet ein durchaus archetypisches Ambiente, welches gelegentlich durch Nutzung von Gesichtsmasken unterstrichen wird. Drei Musikerinnen sorgen für (meist dezente) akustische Signale. In einer zentralen Szene skandiert ein Frauenchor Anklagen gegen die grausamen Mechanismen des Krieges vom Hintergrund des Zuschauerraumes aus, ein wirkungsvoller, freilich etwas hypertropher Auftritt. Auch die bisher noch nicht genannten Darsteller werfen sich voll auf ihre Rollen: Anja Lais, Silvia Bauer, Robert Dölle. Bei aller Vollblütigkeit wirkt Karin Beiers Inszenierung aber nicht in Gänze überzeugend, sonst wäre der Schlussbeifall für die sonst immer so lautstark gefeierte Intendantin fraglos euphorischer ausgefallen.