Übrigens …

Jimi Bowatski hat kein Schamgefühl im Bochum, Schauspielhaus

Der Lúc mit den Cabrio-Jeans

Das BO im Namen stammt fraglos von Bochum, das WAT möglicherweise von Wattenscheid oder auch von der lokaltypischen idiomatischen Rückfrage nach allet, watte ärs nicht richtich vastanden has, und das SKI ist der Adelstitel der ehrlichen Malocher, deren polnische Vorfahren die Erfolgsgeschichte des Ruhrgebiets zur Zeit der industriellen Revolution begründet haben. Gestatten: Bowatski. Und wieso dann Jimi? Der heißt eigentlich „Jochen, aber wer will schon so heißen“, stellt Dirk Laucke schon im Personenverzeichnis klar. Genauso klar ist damit, welche Tonlage der Sachse Laucke (aufgewachsen im sachsen-anhaltinischen Halle) in seinem Auftragswerk für das Schauspielhaus Bochum anschlagen will: Arbeiterdrama mit viel Lokalkolorit und einer kräftigen Prise Humor.

Entsprechend hat er viel in der Stadt Bochum und ihrem Umfeld recherchiert und sich speziell mit der Existenzkrise des Bochumer Opel-Werks und seiner Mitarbeiter auseinandergesetzt. Opel, Nokia, Outokumpu-Inoxum – in ungewöhnlichem Maße ist die Stadt von Arbeitsplatzverlusten im produzierenden Gewerbe betroffen. Und nun kommt möglicherweise auch noch das mittelständische Unternehmen von Familie Fassbender hinzu. Jimi Bowatski jedenfalls wurde schon entlassen, und später erfahren wir, dass Verhandlungen mit den Chinesen über eine Übernahme stattfinden und bei Nichtgelingen die ganze Mannschaft auf der Straße zu stehen droht. Das weiß Bowatski noch nicht; er weiß aber, dass er mit Anfang 50 zum alten Eisen gehört und auf dem Arbeitsmarkt kaum noch eine Chance haben wird. In der kleinen Kneipe am Ende der Straße, deren Zahl im Ruhrpott weniger schnell sinkt als Arbeitsplätze in der Produktion, verabredet er mit Freund Markus (viel jünger, aber gerade aus der Therapie entlassen, dem extensiven Alkoholkonsum nicht abgeneigt und somit wohl ebenfalls nicht gerade der Traumkunde der Arbeitsagenturen) einen Besuch beim Boss. Ziel: Rücknahme der Kündigung von Jimi. Der Forderung Nachdruck verleihen soll ein Schweinebolzenschussgerät, das jedoch etwas überflüssig von Hand zu Hand geht, denn der Boss ist gar nicht anwesend. Stattdessen treffen Jimi und Markus dessen etwas derangierte und verlebte Gattin an, die sich mit dem Callboy Lúc vergnügt – wohlgemerkt Lúc, nicht Luc, also slowakisch, nicht französisch, auch wenn Regisseurin Christina Pfrötschner ihn zu einem peppigen französischen Chanson einführt. Luc wäre er gern, als Lutz wird er von Jimi eingemeindet: ein Laucke’sches Sprachspiel wie bei BO-WAT-SKI.

Wie die Geschichte ausgeht, verraten wir nicht, denn es ist die einzige Wendung, die dem 75minütigen Abend ein wenig Pfeffer gibt. Lauckes Stück ist zugute zu halten, dass es im Vergleich zu vielen der früheren Dramen des Autors seine Kapitalismuskritik differenzierter und weniger radikal äußert; auch der Chef ist ein Opfer und ein viel zu armes Schwein, um mit dem Schweinebolzenschussgerät erledigt zu werden. Es ist Ratlosigkeit und fast ein wenig Trauer, die aus dem Text spricht, scheint doch auch der Autor kein überzeugendes Rezept gegen das Dilemma des Arbeiters in einem Hochlohnland in globalisierter Welt zu kennen. Doch das Stück ist kein Geniestreich; allenfalls ist es ein fairly well-made play ohne große Komplexität, das kraftvoll und temporeich gespielt werden muss – will man wie Christina Pfrötschner der Komödie breiten Spielraum einräumen, müsste die Farce stärker betont werden, will man ein kritisches Zeitstück daraus machen, müsste mehr Schärfe in die Dialoge. Stattdessen schleppt sich die Aufführung in weitgehend einheitlichem Tempo dahin; der Humor zündet nicht und der Kritik fehlen die Wucht und die Dringlichkeit. Die die Farce brechenden nachdenklichen Passagen der Fabrikantengattin Elena Fassbender gelingen Anke Zillich durchaus überzeugend; eine Show ist zumindest von seinem Outfit her Matthias Eberle als „Escort“ Lúc mit perfekten Cabrio-Jeans: das Verdeck ist an den Arschbacken entfernt, und auf dem Hintern prangen zwei süße rote Herzen. Liebevoll vermag Atef Vogel als Markus in den Kneipen-Szenen die unsauber werdende Sprache des Betrunkenen zu parodieren.

Insgesamt gelingt es allerdings weder den Schauspielern noch der Regie, der Aufführung das vom Autor beabsichtigte Lokalkolorit zu geben. Laucke hat es dem Team allerdings auch nicht leicht gemacht, schwanken seine Dialoge doch zwischen einem dem Volk vom Maul abgeschauten Ruhrpott-Deutsch und etwas schwerfälliger Schriftsprache. Was die dem Haus über mehr als ein halbes Jahrhundert verbundene frühere Ruhrpott-Diva Tana Schanzara in ihren späteren Jahren oft zu viel tat, gelingt Atef Vogel und dem den Jimi Bowatski in einer Mischung aus leicht schmierigem Proll und halbentschlossenem Möchtegern-Bud-Spencer gebenden Michael Schütz zu wenig: Der Kohlenpott-Sprech ist deutlich verrutscht, die typische ein wenig derbe, aber sympathische Bauernschläue des Ruhrgebietlers wird nicht wirklich getroffen. Dennoch gab es am Ende freundlichen Beifall in charmanten Bochumer „Theater unten“.