Übrigens …

Im Dickicht der Städte im Bochum, Schauspielhaus

„Das nackte Leben ist besser als jedes andere Leben“ George Garga

Im Dickicht der Städte gehört zu Bertolt Brechts Frühwerken, entstanden zwischen 1921 und 1924. „Der Kampf zweier Männer in der Riesenstadt Chicago“, so der Untertitel. Ein Kampf des malaischen Holzhändlers Shlink mit George Garga, einem jungen Mann aus einer verkrachten Prekariatsfamilie, der – in Abwandlung zum Originaltext – in der Bochumer Inszenierung nicht in einer Leihbibliothek, sondern in einer Videothek arbeitet. Es ist ein Vernichtungskampf, in dem sich Garga gegen das ihn immer engere werdende Netz Shlinkscher Intrigen, denen seine Familie, seine Ehe und schließlich auch Shlinks Holzhandel zum Opfer fallen, verzweifelt wehrt. Brecht, in jungen Jahren ein Fan des Boxsports, gibt dem Zuschauer folgenden Rat: „Zerbrechen Sie sich nicht den Kopf über die Motive dieses Kampfes,… beurteilen Sie unparteiisch die Kampfform der Gegner und lenken Sie ihr Interesse auf das Finish“.

Roger Vontobel inszenierte Im Dickicht der Städte als Ausweicharbeit, da er sein eigentliches Projekt, Hedda Gabler, wegen der Erkrankung einer Schauspielerin nicht umsetzen konnte. Das frühe Brecht-Werk hatte er schon 2011 für Paris eingerichtet, die Produktion musste für Bochum nur noch überarbeitet werden.

Zu Beginn sieht man per Videoprojektion auf dem eisernen Vorhang George Garga, einen zunächst gelangweilten Angestellten in einer Videothek. Shlink betritt den Laden und bedrängt Garga, ihm seine „Ansicht“ zu einem Film, den er ausleihen will, zu verkaufen. Höflich und entschieden steigert er sehr schnell sein Angebot. Garga jedoch „leistet sich seine Ansichten“ und lehnt ab. Als Shlinks Mitarbeiter, typische Vertreter der Ganovenzunft, Garga seine angetrunkene Freundin Jane präsentieren und ihm sagen, mit wem sie gerade das Bett geteilt hat, flippt dieser aus. Er schreit, reißt sich die Klamotten vom Leibe und rennt nackt los. In Großaufnahme sieht man ihn wie ein gehetztes Wild durch die Straßen der Großstadt rennen. Schließlich landet er auf der realen Bühne in Shlinks Holzhandel. Ein cooles Ambiente mit Ledergarnitur und einem beeindruckendem Lichtermeer auf der Rückwand, auf das man wie von einem Loft herabzublicken meint. Shlink, in schwarzem Anzug und mit grauem Kurzhaarschnitt, gibt den smarten Gastgeber und fragt George: „Sie nehmen den Kampf auf?“ Dessen Antwort: „Auge um Auge, Zahn um Zahn“. Das Glitzerpanorama bricht später in Stücken von der Wand, die mondäne Fassade zerbröckelt.

Ein spannender, kluger Einstieg in den Abend. Der sich im Folgenden aber etwas in die Länge zieht.
Wir lernen Gargas Familie kennen. Brecht zeichnet sie als vom Land in die Stadt gezogene Menschen, wo sie ihren Zusammenhalt verlieren. Auf dem Lande waren sie eine Produktionsgemeinschaft, in der Großstadt finden sie sich nur zum Konsum zusammen. Sie vegetieren in einem Loch. Gearbeitet wird außer Haus: Mutter Garga arbeitet als Wäscherin, ebenso ihre Tochter Marie. Pat Manky ist ein Kostgänger, der zur Miete beiträgt und sich an die Tochter heranmacht. Vontobel präsentiert die Gargas als White Trash, als Mitglieder der amerikanischen Unterschicht. Vater und Mutter flätzen sich in Fatsuits und Trainingsanzügen auf der Couch, essen schmatzend Chips und trinken Bier. Manky rapt rassistische Parolen („White Power“), als Shlink bei den Gargas um einen Schlafplatz nachsucht, um ihnen einen Teil der Miete zu zahlen. Ein weiterer Schachzug in seinem Kamof gegen George Garga.
Daniel Murena begleitet den Abend fast permanent mit seiner Gitarrenmusik. Sie wirkt jedoch auf die Dauer nicht spannungserzeugend, sondern eher enervierend. Da hilft auch der eine oder andere Song mit Nadja Robiné (sie spielt auch die Jane) nicht.

Shlink erscheint in der letzten Szene im Affenkostüm - unwillkürlich denkt man an „King Kong und die weiße Frau“ – und spielt (nicht zum ersten Male an diesem Abend) Saxophon, um sich dann für das gezeigte Interesse zu bedanken.

Matthias Redlhammer (Shlink) und Florian Lange (Garga) zeigen beeindruckende Leistungen. Leider verzettelt sich der Abend sonst in zu vielen Regieeinfällen und Details, so dass man langsam das Interesse an der ohnehin schon recht konstruierten Geschichte verliert.