Frauengefängnis
Mit der Überlegung, ob er in seiner „Frauentragödie in spanische Dörfern“ Bernarda Albas Haus den allgeliebten Pepe al Romano nicht doch realiter auftreten lassen sollte, kam Federico Garcia Lorca zu keinem Ende. Im Entstehungsjahr seines Dramas, 1936, hob der spanische Bürgerkrieg an, und der Dichter wurde eines seiner ersten Opfer. Die näheren Umstände der Erschießung (als einer der Gründe wäre Lorcas Homosexualität denkbar) sollten 2008 durch Exhumierung von Massengräbern aus jener Zeit geklärt werden, doch fand sich keine verwertbare Spur.
Natürlich ist davon auszugehen, dass sich Lorca mit seinen Theaterstücken, welche einen kritischen Blick auf spanische Lebensverhältnisse werfen, bei der Obrigkeit generell unbeliebt gemacht hatte. Hierzu liefert der Regisseur Christos Nicopoulos Bestätigung gemäß eigener Vita: „Meine Faszination für Lorca begann in einer Zeit, in der er in meinem Land (A.d.V: Griechenland) verboten war. Als Teenager in einer Diktatur aufgewachsen, war Lorca für mich ein verständnisvoller Begleiter. Man konnte einen Hauch Freiheit atmen.“
Nicopoulos rückt Lorcas Dramen an die Seite von griechischen Tragödien, könnte sich hier und da sogar einen Chor vorstellen. Dennoch läuft seine Inszenierung nicht zeremoniell ab. Dazu gibt es alleine bei den Töchtern der Titelfigur auch zu viele eruptive Reaktionen. Die älteste von ihnen, die etwa vierzigjährige Angustias, hat das Glück, von dem feschen Pepe umworben zu werden. In Wirklichkeit aber - und das posaunen die Schwestern hämisch und lauthals heraus - hat er es nur auf ihr Geld abgesehen. Seine wirkliche Zuneígung gilt in der Tat Adela. Dieser wiederum kommt (die am „Horizont“ verkrüppelt gezeigte) Martirio eifersüchtig in die Quere. Zwischen ihr (herausfordernd: Jutta Dolle) und Adela (körperhaft selbstbewusst: Anne Schröder) gibt es eine berührende Szene, welche die heikle Balance zwischen schwesterlicher Zuneigung und egoistischem Verlangen nach „dem“ Mann erkennen lässt. Sexuelle Konkurrenz und erotisches Begehren sind natürlich allgemeingültige Gegebenheiten, flammen in einer von weiblicher Unterwürfigkeit, Triebunterdrückung und extremem Katholizismus geprägten Gesellschaft allerdings noch stärker.
Wie das frauliche Innenleben der unnahbar strengen Bernarda ausschaut, ist nicht leicht abzuschätzen. Sie hat fünf Kinder zur Welt gebracht und gerade ihren (immerhin schon zweiten) Mann verloren. Vielleicht spielte zu Beginn ihrer Ehen eine erotische Lust mit (wie jetzt bei ihren pubertierenden Töchtern), doch dann dürfte diese zumindest ausgedörrt und bigotter Strenge gewichen sein. Acht Jahre, so ihre Verfügung, soll ihr nun verblichener Gatte betrauert werden, die Frauen eingeschlossen, ohne Kontakt nach außen, ohne erfrischenden Luftzug in der häuslichen Gruft. Dem Verlobten von Angustias, Pepe also, werden gerade mal Begegnungen mit Angustias am Fenstergitter geduldet, wie es die Sitte gestattet. Als Adela aus diesem Dasein ausbricht und ein Rendezvous im Stall hat, greift Bernarda zur Flinte. Martirio verkündet den Zurückgebliebenen, Pepe sei erschossen worden (in Wirklichkeit konnte er fliehen). Adela erhängt sich daraufhin, Bernarda verkündet starr, ihre Tochter sei unbefleckt gestorben. „Ich will eine schöne Fassade“, waren noch kurz zuvor ihre Worte gewesen.
Um diesen Charakter nachvollziehbar werden zu lassen, gibt die Darstellung durch Ursula Michelis nicht die letzte schwarze Autorität her, so sorgsam sie mit Hilfe des Regisseurs Gestik und Mimik auch erarbeitet hat. Bettina Muckenhaupt, welche (oft mit der Magd Maria von Marion Minetti an ihrer Seite) die eher liebenswürdige Hausgehilfin Poncia überzeugend gibt und auch die beiden skurrilen Rollstuhl-Auftritte der verschusselten, nach Liebe kreischenden Großmutter übernimmt, wäre vermutlich die treffendere Besetzung gewesen. Bernardas Töchter Angustias, Amelia und Magdalena sind genügend differenziert durch Maren Pfeiffer, Ivana Langmajer und Sonia Fontana besetzt. Letztere ist auch für eine neue Übersetzung verantwortlich, die man mit der traditionellen von Enrique Beck erst einmal vergleichen müsste, um sie angemessen würdigen zu können.
Sylvia Wasserburgers Kostüme vermitteln leicht folkloristisch angehauchte Düsternis. Einprägsam auch die Ausstattung von Jan Pawlowski: ein aus quer gelegten roten Stühlen gebildetes Kreuz inmitten der Bühne (als Mobiliar variierbar). Als gleißender Wandspot taucht dieses Symbol darüber hinaus gleich zu Beginn auf.