Übrigens …

Kein Licht. / Prometheus im Moers, Schlosstheater

Kein Licht, kein Ton – ich komme schon

Man muss halt nur die richtige Übersetzung nehmen, dann weist schon der erste Satz von Aischylos‘ „Der gefesselte Prometheus“ auf moderne apokalyptische Visionen hin. In der antiquarischen Ausgabe von Oma und Opa selig heißt der noch: „Wir stehn am fernsten Saum der Welt … in unbetretner Einsamkeit“. Da kommt kein Mensch drauf, dass dieser Satz mal mit Fukushima kurzgeschlossen werden könnte. In moderneren Versionen heißt es: „Am Ende der Welt sind wir nun, in menschenleerer Wüste.“ Das könnten auch die letzten fünf Überlebenden einer fernen Atomkatastrophe niederschreiben für eine Nachwelt, die vermutlich nie mehr kommt.

Die fünf ständigen Ensemble-Mitglieder des Schlosstheaters Moers sprechen den Satz in ungezählten Wiederholungen. Jeder einzeln, und dann mehrfach alle zusammen. Alle sind Prometheus, der Mann, den Zeus in Ketten schlagen ließ, weil er den Menschen das Feuer brachte. Das Feuer, das auch die Flamme der Intelligenz ist, das es ihnen ermöglicht, zu bauen und zu schaffen, die Natur sich untertan zu machen. Ist es Anmaßung, ist es Blasphemie gar, mit Hilfe des Feuers und der Intelligenz den Schöpfer zu spielen, Erfindungen zu machen, die nur einem Gott zustehen? – Nö. Herrje, was wären wir ohne Feuer? Aber muss man deswegen so arrogant und präpotent auf die Pauke hauen wie Prometheus das tut: „Die im Erdenschoß verborgenen Schätze, welche sein jetzt nennt der Mensch, so Eisen, Erz, Gold, Silber, Cadmium, Plutonium, wer mag sagen, dass er diese vor mir aufgefunden und benutzt?“ Nö. Etwas mehr Bescheidenheit täte gut. Aber muss man deswegen den Prometheus und den einen heutigen Hörer zwar überfordernden, aber dennoch wohlklingenden rhythmischen Aischylos-Text verhunzen wie die Moerser Schauspieler das tun?

Nö. Eigentlich verhunzen die den Text auch gar nicht: Sie sprechen ihn schön griechisch-chorisch. Dabei sind sie in silbrig glitzernde antikisierende Gewänder gekleidet, und die vier, die nicht gerade die Haupt-Sprecher sind, ergehen sich in huldvollen Bewegungen wie Priesterinnen im griechischen Tempel vor ihren – ganz real auf der kleinen Moerser Bühne stehenden – Opferschalen oder wie die esoterisch entrückten Badegäste im Intro zum Moerser „Volksfeind“ vor einigen Monaten. Das passte damals als satirischer Blick auf die spießige Kleinstadtwelt perfekt; beim heutigen Prometheus bekommt die geplante Veralberung dagegen schnell einen Beigeschmack von Peinlichkeit. Das liegt auch daran, dass die Satire zu nah am Original gespielt wird; die Absetzbewegung vom Aischylos-Text und von der Prometheus-Figur gelingt nicht überzeugend genug. Trashig soll das Ganze wirken, und der trashige Eindruck wird verstärkt durch verzerrte Grimassen der Sprecher, deren Gesichter auf einen weißen Ballon, der in der Bühnenmitte von der Wand hängt, projiziert werden. Technisch nicht ganz einwandfrei: Die Lippenbewegungen sind nicht synchron mit dem, was wir hören. Und wir sehen auch Schauspieler sprechen, hören aber die Stimme eines anderen. Ging die trashige Text-Präsentation noch ziemlich auf die Nerven, so wirken diese Verfremdungseffekte plötzlich interessant. Störend ist nur das flackernde Licht, sind die vorübergehenden leichten Tonausfälle. Und dann … totaler Kurzschluss.

Kein Licht, kein Ton, ich komme schon: Die Moerser Techniker versuchen, den Schaden zu beheben. Zunächst vergeblich. Der Schreiber dieser Zeilen gesteht verschämt, dass er ebenfalls an technische Probleme geglaubt hat. Absolut perfekt ist die Panne inszeniert. Doch: tsunami-bedingt ausfallende Atomkraftwerke kündigen sich ja ebenfalls selten an. Der Kurzschluss leitet „nur“ über in den zweiten Teil des Abends, auf den ja schon der Plutonium-Trojaner hingewiesen hatte, den die Moerser in den Prometheus-Text geschmuggelt hatten: Elfriede Jelineks Assoziationen zur Fukushima-Katastrophe „Kein Licht“. Es ist „der grüne Teil der Aufführung“, wie viele Zuschauer nachher sagen werden: der ökologisch inspirierte, aber auch derjenige, der innerhalb einheitlich grüner Wände gespielt wird. Es ist auf jeden Fall der unterhaltsamere Teil der Moerser Aufführung.

Die Gegenüberstellung von Jelineks Fukushima-Kommentar, der – für sich allein genommen – zu ihren schwächeren Stücken zählt, und Aischylos‘ Prometheus-Text erscheint sinnfällig. Das Pathos des Prometheus und die kunstvoll mit Banalitäten spielende Sprache Jelineks behandeln überraschend ähnliche Themen, wenn man beide Texte geschickt miteinander kombiniert. Manchmal gelingt dies der Moerser Dramaturgie auf frappierende Weise: „Ist das eine Züchtigung, die da verhängt wurde?“, heißt es einmal: „Dazu hätte man nicht das ganze Meer schicken müssen.“ – Ja, da geht uns auf: Es ist wie eine Strafe Gottes für das unverantwortliche Spiel mit dem Feuer, es ist eine unbarmherzige Racheaktion von Zeus, was da in Fukushima geschehen ist. Da wird der Prometheus tatsächlich zum logischen Vorspiel von Jelineks Kein Licht.

Ob Jelineks Kalauer-Gewitter allerdings tatsächlich so wahnsinnig ökologisch-ideologisch angehaucht ist, sei dahingestellt. Es ist die übliche Jelineksche Mischung aus Albernheiten und genialen Wortspielen, aus angriffslustigen Unverschämtheiten und atemberaubend inkorrekten Scherzen mit dem Schrecken, aus politischer Wut und erbarmungsloser Aufdeckung menschlicher Hybris und menschlicher Schwächen: bösartig, kalauernd, assoziativ, scheinbar ziellos und immer wieder den Atem verschlagend. Das Moerser Team illustriert diese seltsame Melange mit Musik und wilden Tänzen zu japanischen Texten; Marieke Kregel legt eine wunderbar austriakische Jelinek-Parodie hin, und auf amüsante Weise wird mit der Theater-Situation gespielt. Die Schrecken der Katastrophe, die plötzliche ohrenbetäubende Stille, die Unfähigkeit der fünf Flüchtenden auf der Bühne, Geräusche zu hören, während sie dennoch das Schreien der Opfer wahrnehmen, werden vorgeführt und ironisch unterlaufen. Eine wunderbare Metapher wird gefunden: ein großer Ballon, ein Erdball wird aufgeblasen, quälend lange, die Schauspieler halten sich die Ohren zu, haben Angst vor dem finalen Knall – aber sie wissen die Explosion nicht zu verhindern. Wir alle schauen dem Nahen der Katastrophe zu, ohne etwas dagegen zu unternehmen. Und sind zu blind, um uns selbst zu schützen: Matthias Heße findet einmal den Notausgang, bricht einfach durch die Bühnenwand, doch die anderen folgen nicht und bleiben in Gefahr.

Die atemberaubenden Fallhöhen in Jelineks Texten können manchmal aber auch zu Klippen werden. Beinahe wäre Regisseur Philipp Preuss der Jelinek-Teil zu sehr ins Kalauerhafte verrutscht. Zu häufig wirken die Wortspiele der Autorin einfach nur lustig, bleibt das Erschrecken aus. Aber dann, Zeus sei es gedankt, bekommt der Abend doch noch ein nachdenkliches Ende. „Er wird dir Licht geben“, heißt es da. „Aber bald wirst du von ihm unabhängig sein, denn du wirst selber strahlen.“ Jaja, ein typischer Jelinek-Scherz. Aber so, wie er von den Schauspielern gesprochen wird, ein düsterer, ungeheuer bitterer Schluss. Wie war das noch mit der Energiewende? Zu teuer?