Tinnitus als Stimulans
Karin Beier, Kölns Schauspielintendantin, sprach: Es werde Licht - und es ward PeterLicht. Genauer: ein Abend dieses Kölner Indiepop-Musikers, der auch Geschichten, Gedichte und Songtexte zu Papier bringt. Vieles an ihm scheint geheimnisvoll. Zunächst trat er unter dem Pseudonym Meinrad Jungblut in Erscheinung (nicht real freilich), und erst bei der Leipziger Buchmesse 2006 wagte er den Weg in die Öffentlichkeit. Dennoch verweigert er bis heute, dass Fotos oder Filme von ihm gemacht werden. Maske oder Manie? Immerhin: zu einem Zeitungsinterview über sein aktuelles Theaterstück Das Sausen der Welt ließ er sich herbei.
Die tiefere Absicht des Textes (konkreter Untertitel: „Eine Raumeroberung“) beschreibt er so: „Die Gegenwart anbohren. Sehen, was heraustropft und daraus was machen, was schön ist.“ Schön wär’s. Das Theater scheint ihm dafür erst einmal der rechte Ort, nämlich ein „utopischer Raum, frei und offen“, so offen, dass Licht selber nie so ganz weiß, was am Ende heraus kommt. Zudem hat er sich für die aktuelle Aufführung in der Expo am Gladbacher Wall mit Alexandra Dederichs und S.E. Struck (Team-Name „See“) zusammen getan, beide ebenfalls in Köln ansässig, Vor fünf Jahren fielen sie spektakulär auf, als ihre Tänzer mit einer „Schlaf-Performance“ durch öffentliche Amtsräume wogten.
Der Titel Das Sausen der Welt erklärt sich autobiografisch. Zu Lichts Freundeskreis gehören viele Menschen mit Tinnitus, jenem krankhaften Geräusch im Gehörbereich, welches nur die Betroffenen wahrnehmen, nicht aber Außenstehende. Tinnitus ist für Licht ein derart alltägliches Phänomen, dass es ihn zu politischer Überhöhung animierte. „Der Kapitalismus ist der Tinnitus im Weltohr. So empfinde ich die Gesellschaft“. Glauben wir dem Autor. Von seiner Auffassung verrät das Stück allerdings nur wenig. Hier und da blitzen seine Thesen in Worttorsi und Silbenschnipsel auf, aber der Stücktitel wird (vom Autor, vom Regie-Team?) auch zum Inszenierungsprinzip erhoben. Die Darsteller sprechen oft so, als würden ihre Worte von einer Häckselmaschine aufgesogen und dann wieder ausgespuckt.
Das ergibt sprachvirtuose Szenen für Andreas Grötzinger und (am Schluss) Marina Frenk. Einen psychologischen Sinnzusammenhang darf man bei alledem aber nicht suchen. Drei Musiker beteiligen sich an den Tiraden mit fast onanistischer Entrückung. Die Akteure werden immer wieder choreografisch über die Bühne gejagt, dann wieder gibt es Bewegungsstillstände und meditative Gesangsintermezzi. Neben den genannten Akteuren sorgt auch Maik Solbach für theatralische Unterhaltungsqualität. Aber letztlich saust die Aufführung mit ihrer intellektuell klammen Kontur an einem ohne Tiefenwirkung vorbei.